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Zwangsräumung für Palästinenser

Marijke Peters, Ostjerusalem / mgr8. Dezember 2013

Kaum stehen sie, sollen sie schon wieder abgerissen werden: eine Reihe Hochhäuser in Ostjerusalem. Denn plötzlich interessiert sich der Stadtrat für eine Ecke, die er lange vernachlässigt hat. Was steckt dahinter?

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Blick über die israelische Mauer auf den Bezirk Ras Khamis in Ostjerusalem (Foto: EPA/ABIR SULTAN)
Bild: picture-alliance/dpa

Shadee wußte, dass es ein Risiko war, eine Wohnung in Ras Khamis zu kaufen. Nicht nur, weil das Hochhaus erst halb fertiggestellt war. Sondern vor allem, weil die Stadtverwaltung von Jerusalem das Bauprojekt nicht genehmigt hatte - und das Gebäude jederzeit abgerissen werden konnte. Shadee hoffte, dass er Glück hat.

Ras Khamis ist ein heruntergekommener Bezirk in Ostjerusalem, hinter der großen Mauer gelegen, die Israel bauen ließ. Hunderte palästinensische Familien leben hier auf dem Berg, gleich neben einem überbevölkerten Flüchtlingslager. Offiziell gehört dieser Teil der Stadt zu Jerusalem - trotzdem kommen hier nur wenige der städtischen Dienstleistungen an: Die Straßen sind nicht gepflastert und Müll stapelt sich vor den Häusern, denn die Müllabfuhr will hier nicht vorbei fahren.

Shadees Entscheidung, hier in Ras Khamis eine Wohnung zu kaufen, war vor allem eine wirtschaftliche: Auf der anderen Seite der Mauer sind die Preise deutlich höher. Und: "Wenn ich etwas miete, kostet das zwischen 200 und 300 Euro im Monat. Es wäre wenig Platz und ungesund, darin zu wohnen", sagt der 23-jährige Bauarbeiter. "Das Appartement aber hätte mir nach fünf Jahren komplett gehört."

Vor einem noch nicht fertiggestellten Wohnblock in Ost-Jerusalem stapelt sich der Müll (Foto: DW/Marijke Peters)
Vernachlässigt: Die Städtische Müllabfuhr kommt nicht in Ras Khamis vorbeiBild: DW/M. Peters

Wie Wohnen auf einem Vulkan

Die Kaution war bezahlt. Jeden Monat legte er mehr als die Hälfte seines 1000-Euro-Einkommens für die Rückzahlung der Raten beiseite. Und er fing an, die Wohnung zu tapezieren, um bald mit seiner frisch angetrauten Ehefrau einziehen zu können. Shadee plante, arbeitete und hoffte - vergebens. Vor einem Monat kamen israelische Soldaten und klebten Abrissbescheide an das Gebäude. Shadee rief den Hausbesitzer an, doch der sagte nur: "Das ist nicht mein Problem."

Shadee geht es nicht nur um seine Zukunft. Es ist eine grundsätzliche Frage: Eigentümer wie er bemängeln fehlende Kontrolle und niedrige Baustandards, bei denen Sicherheit kaum eine Rolle spielt. Und manchmal müssen sie sogar anderswo Wasser stehlen, weil die Versorgungsbetriebe keine Anschlüsse für die illegal errichteten Häuser vorsehen.

Die Bauunternehmer der Hochhäuser bestreiten, dass sie ihre palästinensischen Mitbürger ausnutzen würden. Sie behaupten, dass der Gewinn, den sie durch den Verkauf machen, kaum die Mühe wert sei. Ein Unternehmer, der anonym bleiben will, sagte, er habe - seit er vom Abrissbescheid für sein achtstöckiges Haus gehört hätte - rund um die Uhr gearbeitet, um eine Lösung zu finden. "Ich mache mir Sorgen um mein Gebäude, aber auch um die Leute, die darin Wohnungen gekauft haben", sagte er. "Sie sind arm. Wie sollen sie überleben? Sie haben all ihre Ersparnisse in die Wohnung investiert. Es ist, als ob sie auf einem Vulkan sitzen würden, ohne zu wissen, wann er ausbricht."

Keiner will schuld sein

Die Leute, sagt er, seien von Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat aufgefordert worden, zu bauen. Er hätte die Unregelmäßigkeiten an Bauten in den Palästinensergebieten von Ostjerusalem wissentlich ignoriert, heißt es - obwohl sie offiziell unter seine Zuständigkeit fallen. Barkat wolle die palästinensischen Einwohner Jerusalems zurück in das Westjordanland drängen.

Nir Barkat, Bürgermeister von Jerusalem (Foto: MENAHEM KAHANA/AFP/Getty Images)
Nir Barkat: Jerusalems Bürgermeister hätte sie geradezu zum Bauen ermutigt, sagen BaufirmenBild: Menahem Kahana/AFP/Getty Images

"Es geht nur um Politik", so der Unternehmer. "Die Stadtverwaltung stellt keine Genehmigungen aus, denn sie will nicht, dass die Leute hier legal leben. Aber was sollen die Leute machen?"

Eine Sprecherin des Stadtrates von Jerusalem wies den Vorwurf zurück, der Bürgermeister wolle die Palästinenser vertreiben: "Nir Barkat verfolgt eine klare Politik gegen illegale Bauprojekte in allen Teilen der Stadt. Das war schon immer so", sagte sie der Deutschen Welle.

Unsichere Zeiten

Blick auf Ras Khamis hinter der israelischen Mauer (Foto: picture-alliance/dpa)
Hinter Mauern: Für Ras Khamis gibt es keinen offiziellen BebauungsplanBild: picture-alliance/dpa

Welche Version auch immer stimmt - es fehlt ein offizieller Bauplan für Ras Khamis mit Detailinformationen zu Straßen und künftigen Projekten. Das macht es für jeden unmöglich, eine Baugenehmigung von der Stadt zu erhalten. Eine Gesetzeslücke, kritisiert Ronit Sela von der Association for Civil Rights in Israel (ACRI): "Solange die Behörden keinen Plan für das Gebiet entwickeln, kann niemand eine Baugenehmigung erhalten - denn aus dieser muss hervorgehen, dass sie mit dem Plan übereinstimmt", erklärt Sela. "In einigen anderen Teilen von Jerusalem wird illegal gebaut, weil die Leute sich nicht an die Regeln des Plans halten. Aber hier ist es so, dass dieser Plan komplett fehlt."

Seine Organisation könne nicht verstehen, warum die Abrissbescheide erteilt wurden - vor allem an einem Ort, den die Behörden so viele Jahre ignoriert hätten. Vielleicht, so meint Sela, sehe die Stadt es als Einkommensquelle. Eigentümer, die sich nicht an die Gesetze halten, können mit hohen Geldstrafen belegt werden - bis zu 15.000 Euro pro Wohnung. Jedes Jahr nimmt der Stadtrat von Jerusalem so Millionen Euro ein.

Mehr Bußgeld, mehr Einnahmen

Möglicherweise ist das auch einer der Gründe, weshalb die Betreiber von Baufirmen anonym bleiben wollen: Solange die Stadt sie nicht identifizieren kann, kann sie auch kein Bußgeld erlassen. Und das wiederum ist der Grund, warum sich keiner dazu entschließt, die Abrissbescheide anzufechten: 30 Tage waren Zeit, um gegen die Erlasse Widerspruch einzulegen - doch keiner tat es. Zu groß das Risiko, anschließend Strafen bezahlen zu müssen.

Ost Jerusalem Abriss von palästinesischen Wohnungen
Baustelle: Ali besichtigt seine Wohnung - vielleicht gibt es sie bald nicht mehrBild: DW/M. Peters

Es bleiben die Verlierer. Leute wie Shadee und sein Freund Ali, deren Ersparnisse zu Staub zerfallen könnten. Als Einzelpersonen dürfen sie den Gerichtsbeschluss nicht anfechten. Und so warten sie und hoffen, dass der öffentliche Druck die Stadt vielleicht dazu zwingt, eine andere Lösung zu finden. "Es gibt keine Alternative", sagt Ali. "Wer eine legal gebaute Wohnung will, mit Vertrag und allem, der muss in Jerusalem nachschauen - auf der anderen Seite der Mauer. Dort kostet es aber Millionen. Nur die Reichen können da leben. Wir Arbeiter stecken all unser Geld in diese Häuser. Das ist alles, was wir haben."

Shadee fühlt sich als Spielball zwischen Baufirmen und Stadtrat. Aber, fügt er hinzu: "So ist es nun mal. Damit müssen wir jetzt klarkommen und weitermachen. Wir können nicht auf der Straße leben - also was sollen wir schon tun? Sehen wir es als Abenteuer, als Herausforderung."