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Kann eine Mauer Tangier Island retten?

Sandy Hausman
28. November 2018

Eine kleine Insel in der Chesapeake Bay versinkt. Erosion und der steigende Meeresspiegel sind schuld, aber die meisten Insulaner glauben nicht an den Klimawandel. Sie hoffen, Trump werde ihnen eine rettende Mauer bauen.

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Der Hafen von Tangier Island, Virginia, USA bei Sonnenuntergang
Bild: DW/Sandy Hausman

Tangier  ist eine sumpfige Insel in der Chesapeake Bay, einer breiten Flussmündung etwa 145 Kilometer südlich von Washington, DC. Mit dem Boot braucht man eine Stunde, um die nur drei Quadratkilometer große Insel zu erreichen.

Ihre Abgeschiedenheit hat in den vergangenen 240 Jahren dafür gesorgt, dass sich hier eine ganz eigene Kultur entwickeln konnte. Kaum 500 Menschen leben auf der Insel, die meisten von ihnen sind konservative Christen. Sie sprechen einen Dialekt, den es nirgendwo sonst gibt. Handyempfang haben sie nicht und die meisten ihrer Wege legen sie mit dem Fahrrad oder dem Golfmobil zurück, falls sie nicht zu Fuß gehen.

Wenn man sich der Insel nähert, fällt sofort auf, wie verwundbar sie ist. Die Häuser und Bäume entlang der Ufer scheinen direkt im Wasser zu stehen, bei Flut steigt das Wasser immer wieder aus der Kanalisation empor und überflutet Straßen und Gärten.

Hurrikane suchen Tangier seit Jahrhunderten heim, die Bewohner haben Epidemien überlebt, sie sind an Katastrophen gewöhnt. Trotzdem könnte ihnen bald etwas nie dagewesenes bevorstehen: Ihre Insel könnte bald komplett verschwinden. Schon heute ragt sie an ihrem höchsten Punkt nur etwas mehr als einen Meter aus dem Wasser. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Insel bereits zwei Drittel ihrer Fläche an das Wasser verloren.

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Die United States Geological Survey sieht die Ursache für den Anstieg des Meeresspiegels im Klimawandel. Einige Forscher glauben sogar, dass sich der Boden absenken könnte. Bei den Insulanern treffen sie allerdings auf taube Ohren. Sie sind überzeugt, dass es allein an der Erosion liegt, dass das Wasser an ihren Haustüren entlang schwappt.

"Das kann man sehen, besonders nach Stürmen", sagt der 60-jährige Bürgermeister der Insel, James Eskridge, "aber ein Anstieg des Meeresspiegels, den sehen wir hier einfach nicht."

Ein Garten, der unter Wasser steht
Gärten, die bei Flut unter Wasser stehen sind auf Tangier Island nichts ungewöhnlichesBild: DW/Sandy Hausman

Dwayne Crockett, der Geschichtslehrer der örtlichen Schule, sieht es ähnlich. Er zitiert die Bibel, um seine Überzeugung zu belegen.

Nachdem Noah und seine Tiere auf der Arche überlebt hatten, sagt er, "versprach der Herrgott ihnen: 'Nie wieder werde ich die Erde mit einer Flut zerstören!'" Crockett und Eskridge erinnern sich auch noch daran, dass sie bereits als Kinder auf Straßen und in Gärten gespielt haben, die überflutet waren.

"Erosion war schon immer unsere große Sorge", erklärt Crockett. "Ich erinnere mich noch, als ich ein kleiner Junge war, wurde der westliche Teil unserer Insel in einem alarmierenden Tempo weggespült. Das hat unsere Flugpiste und unser Klärwerk bedroht. Irgendwann hat der Bundesstaat dann endlich im Westen eine Schutzmauer gebaut und Gott sei Dank hat das die Erosion in der Gegend zu 100 Prozent gestoppt."

Rettung durch Trump

Jetzt kämpft er gemeinsam mit dem Bürgermeister für eine Mauer um die gesamte Insel herum. Und die beiden haben einen überraschenden Verbündeten gefunden: Donald Trump. Der Präsident wurde durch einen  Bericht des Nachrichtensenders CNN auf Tangier aufmerksam, bei dem Eskridge interviewt wurde. Es ging um die massive Unterstützung für Trump bei der Präsidentschaftswahl 2016 - mehr als 85 Prozent der Inselbewohner hatten ihm ihre Stimme gegeben.

"Was würde der Bürgermeister dem Präsidenten gerne sagen?" fragte CNN. "Sagt ihm, ich liebe ihn, als wäre er Teil meiner Familie", antwortete Eskridge.

Trump sah den Fernsehbeitrag und wollte mit seinem leidenschaftlichen Fan reden. "Ich war damals gerade draußen, Krebse fangen", erinnert sich Eskridge. "Es war Montagmorgen und mein Sohn kam, um mich zu holen. Er sagte, ich müsse nach Hause kommen, weil der Präsident mit mir reden wolle. Ich sagte 'Der Präsident wovon?'"

Eskridge dachte irgendjemand wolle ihm einen Streich spielen. Aber kurz darauf sprach er mit Donald Trump, der vage Versprechungen machte, ihr Vorhaben zu unterstützen. Seitdem hat sich Eskridge drei Mal mit Mitgliedern der Trump-Regierung getroffen und auch Experten des Army Corps of Engineers waren da. Er hat mit Reportern aus 22 Ländern gesprochen, in der Hoffnung, dass das Schicksal seiner Insel auch international Aufsehen erregen werde.

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James Eskridge, Bürgermeister von Tangier
James Eskridge, Blaukrabbenfischer und Bürgermeister von Tangier hofft, das Präsident Trump die Insel retten wirdBild: DW/Sandy Hausman

"Wir reden hier nicht nur von einem Stück Land", sagt Eskridge. "Wir reden von Familien, einer Gemeinde, einer Kultur und einer Art zu leben. Wir produzieren viel Fisch und Meeresfrüchte und seit dem ersten Weltkrieg haben viele Leute hier im Militär gedient. Man empfand uns damals als wichtig, daher hoffe ich, dass wir immer noch wichtig sind."

"Sehen sie Tangier als Test", sagt Crockett. "Wenn sie nicht mal eine kleine Insel mit 450 Menschen retten können, dann können sie große Städte wie New York oder Boston gleich vergessen."

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Auch Tierfreunde melden sich zu Wort. Für sie geht es um die Rettung eines wichtigen Lebensraums. "Es ist eine wundervolle Gegend für wild lebende Tiere", sagt Jim Gott, Besitzer des Bay View Inn. "Das hier ist ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel und Schmetterlinge. Der Verlust der Insel wäre verheerend für sie."

Der Bundesstaat Virginia hat sich kürzlich bereit erklärt, eine einfache steinerne Strandmauer zu bauen, um den Hafen von Tangier zu schützen - ein Projekt, über das seit fast 20 Jahren diskutiert wird. Die Mauer soll nur drei Millionen Dollar kosten, aber eine hochwertige Mauer, die die gesamte Insel umgibt, wäre viel teurer. Das Army Corps of Engineers hat Gelder beantragt, um eine Machbarkeitsstudie durchzuführen und eine realistische Kostenschätzung zu erstellen.

Klimawandel oder nur Erosion?

"Die Stürme in der Gegend haben zugenommen und sind heftiger geworden", sagt Jill Bieri, eine Meeresbiologin bei der NGO Nature Conservancy. "Tangier bekommt die Auswirkungen voll zu spüren." Ihr Vorschlag wäre, die Insel mithilfe eines künstlichen Austernriffs gegen zerstörerische Wellen zu schützen. Solche Riffe bestehen aus Betonhaufen, an die sich unter Wasser Muscheln heften, um so eine natürliche Barriere zu bilden. Erosion könnte auch dadurch minimiert werden, dass man das Ufer abflacht und mit Arten bepflanzt, die Salzwasser vertragen, oder Sand vom Grund der Chesapeake Bay hochpumpt, um die Insel aufzuschütten.

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Was ist der Treibhauseffekt?

Doch trotz allem ist niemand sicher, ob man Tangier tatsächlich retten kann, oder für wie lange. "Die Erosionsgeschwindigkeit nimmt zu", sagt Bieri. "Das liegt am Anstieg des Meeresspiegels. Ich kann auch nicht sagen, ob eine Mauer die Insel schützen kann oder nicht. Aber ich bezweifle, dass uns langfristig irgendetwas Menschengemachtes vor dem beschützen kann, was auf natürliche Weise in den Küstenregionen passieren wird."

Im Moment meistern die Inselbewohner die Überschwemmungen. Der Schulbeginn verzögert sich oft. Auch könne es eine Herausforderung sein, sich auf der Insel zu bewegen, sagt die Gastwirtin Maureen Gott. Als sie und ihr Mann vor sieben Jahren das Haus kauften, war ihnen nicht bewusst, wie oft sie mit Hochwasser zu kämpfen haben würden.

"Es hängt vom Mond ab: Neumond, Vollmond, Windrichtung, Windgeschwindigkeit, ob es einen Sturm gibt oder nicht", erklärt sie. Und selbst wenn ein Hurrikan die Gegend nicht direkt trifft, sorgt der starke Regen in der Region dafür, dass die Flüsse anschwellen und sich deren Wasser in die Chesapeake Bay ergießt. Und auch das stellt Tangier vor Probleme.

Gibt es nur schlechte Neuigkeiten? Nein. Zumindest den Tourismus hat die mediale Präsenz und die vage Zukunft des Eilands angekurbelt. Alex Shtogren beispielsweise ist für ein Wochenende aus Baltimore gekommen, aus Neugier, wie er sagt. Es ginge ihm um den alten und ungewöhnlichen Lifestyle auf der Insel. "Ich wollte das sehen, solange es noch da ist", gibt er zu. "Man sagt, das hier sei Ground Zero für den Klimawandel, daher dachte ich mir: jetzt oder nie."