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Zweieinhalb Stunden Anti-Yoga

Sabrina Pabst10. Oktober 2015

Von morgens bis abends vom Smartphone begleitet - macht uns das krank? Ja, sagt Buch-Autor Alexander Markowetz. Er plädiert für einen neuen Handy-Knigge - auch zum Schutz unserer Kinder.

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Alexander Markowetz guckt durch einen Serverschrank. (Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn)
Alexander Markowetz ist Juniorprofessor am Institut für Informatik der Universität BonnBild: Barbara Frommann/Uni Bonn

Deutsche Welle: Es scheint, eine Symbiose, eine fast romantische Verbindung zwischen Handy und Nutzer zu bestehen. Es begleitet uns den ganzen Tag, erinnert uns an wichtige Termine, passt auf, dass wir das richtige essen, ermahnt uns, wenn wir uns zu wenig bewegen. Abends im Bett ist es das letzte, was wir drücken. Aber wie schädlich ist so ein Verhalten?

Alexander Markowetz: In einem Smartphone stecken ganz viele Funktionen, die unser Leben besser machen. Ohne meinen persönlichen elektronischen Terminkalender wäre auch ich total aufgeschmissen. Wir müssen nur lernen, mit ihnen umzugehen. Wir telefonieren am Tag sieben Minuten und interagieren zweieinhalb Stunden täglich mit unserem Handy. Das sind im Schnitt 55 Einschaltvorgänge - also einschalten, einloggen und tippen. Alleine das machen zehn Prozent der Leute mehr als 90 mal pro Tag. Allein die häufige Anzahl zeigt, dass können nicht mehr als 90 große Entscheidungen mit diesem langen rationalen Prozess sein. So viele große Entscheidungen kann unser Tag nicht haben. Also sind das kleine unterbewusste Automatismen. Wahrscheinlich steuern wir nur zehn Prozent unseres Handy-Verhaltens bewusst. Wenn wir von acht Stunden Tag ausgehen, nimmt unsere Handynutzung ein Drittel unserer Tageszeit in Anspruch.

Ist das denn schlimm, zweieinhalb Stunden mit dieser Art der Freizeitgestaltung zu verbringen und zu vertrödeln?

Das Problem sind nicht die zweieinhalb Stunden, sondern die Anzahl der Unterbrechungen. Alle 18 Minuten mache ich etwas mit dem Handy. Hinzu kommen andere Formen der medialen Unterbrechungen, wie Telefonate, die Kurzmitteilung eines Freundes oder der Fernseher. In der Summe unterbrechen wir uns permanent durch selbstauferlegtes Multitasking. Wir erleben eine Fragmentierung unseres Tages. Wir Menschen sind jedoch nicht zum Multitasking geschaffen. Wir lenken abwechselnd unser Bewusstsein auf unterschiedliche Tätigkeiten. Wenn dann Langeweile entsteht, wechseln wir unsere Beschäftigung. Das bereitet uns auf Dauer Stress. Wir verlieren an Produktivität und Glücksempfinden, weil wir in keinen Work-Flow kommen.

Was hat es denn für Auswirkungen, wenn wir ständig in unserer Konzentration gestört werden?

Eine Joggerin läuft durch den Park und hat ihr Smartphone am Arm. Sie hört Musik. (Foto: Colourbox/L Dolgachov)
Walkman, Schrittzähler und Telefon in einem - ohne Smartphone läuft nichtsBild: Colourbox/L Dolgachov

Ein Beispiel: Beim Yoga begeben wir uns in eine orthopädisch korrekte Haltung und versuchen uns geistig zu fokussieren. Wenn wir jeden Tag eine halbe Stunde Yoga machen würden, wären wir nach sieben Jahren eine entspannte Person. Bei Smartphones aber begeben wir uns in eine absurde orthopädische inkorrekte Position und wollen uns geistig so schnell wie möglich zerstreuen. Demnach machen wir alle Anti-Yoga, aber zweieinhalb Stunden täglich. Wir werden gestresst, depressiv und unsere Aufmerksamkeit zerfasert. Welchen Effekt das auf unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren genau hat, ist wissenschaftlich noch nicht erforscht. Das liegt aber daran, dass es diese Smartphones auch noch nicht so lange auf dem Markt gibt.

Auch fehlen uns die bisher im Alltag zwangsverordnete Mikropausen - das Warten auf den Bus oder die Verabredung. Diesen Leerlauf haben wir abgeschafft, obwohl sie und geholfen haben, kurz zu entspannen. Diese Momente sind in der Stress- und Depressionstherapie zentral. Dort wird Achtsamkeit geübt, also eine Methode die positive Passivität lehrt.

Das sind aber düstere Aussichten. Wie können wir da gegen steuern?

Wir müssen Unterbrechungen vermeiden. Das Problem liegt in uns und an unserer Umwelt. Dazu müssen wir unser Verhalten erkennen und reduzieren. Für uns selber hilft eine digitale Diät. Um uns gegenseitig seltener zu unterbrechen, brauchen wir eine Kommunikationsetikette. Für eine digitale Diät muss ich meine Gewohnheiten ändern, mich selber konditionieren und meine Umgebung so gestalten, dass sie mich vom Handy wegleitet. Zum Beispiel lohnt sich der Blick auf die Armbanduhr, anstatt das Handy dafür einzuschalten.

Wie können wir denn eine Kommunikationsetikette etablieren?

Der Mensch ist nicht autark und kann nicht selber entscheiden, wie häufig er durch externe Kommunikation unterbrochen wird. Das ist ein gesellschaftliches und kulturelles Problem. Wir müssen anfangen, gegenseitig Rücksicht zu nehmen. Dazu müssen wir wissen, dass jeder die Verantwortung für die geistige Gesundheit seines Gegenübers übernimmt. Dazu sollte sich jeder bewusst überlegen, wann seine Kommunikation zielgerichtet ist. Wir sollten lieber eine längere Email schreiben, als ständig kurze Mitteilungen zu verschicken.

Als Kind haben wir gelernt, nach acht Uhr abends nicht mehr irgendwo anzurufen. Auch nicht zwischen zwölf und 15 Uhr - da ist Mittagspause. Diese Etikette ist verloren gegangen. Da müssen wir aber wieder hin. Das fängt in unserer Familie und im Freundeskreis an und hört bei großen Unternehmen auf. Das Thema kann keiner für sich alleine lösen. Wir können es lediglich im kleinen Kreis angehen. 80 Prozent unserer Kontakte entfallen auf maximal fünf Kontakte. Wenn wir eine Kommunikationsetikette dort pflegen, wäre das ein Anfang.

Kind spielt auf iPhone - Model Released (Foto: picture alliance/ZB)
Krummer Rücken und überdehnter Nacken: Das Smartphone ist auch für die Körperhaltung ungesundBild: picture alliance/ZB

Wenn Heranwachsende täglich zweieinhalb Stunden Anti-Yoga machen, dann wird es doch eine recht depressive und unproduktive Generation, die unter Konzentrationsschwäche leidet. Welche Möglichkeiten haben Eltern um dagegen zu wirken?

Das zentrale Problem ist, dass Jugendliche keine Offline-Erfahrung haben. Wenn heutzutage ein Fünfzehnjähriger zwangsweise offline gehen muss, bricht für ihn seine Welt zusammen. Er kann nichts verpassen. Dann müssten ja alle fünfzehn Minuten wirklich wichtige Dinge passieren. Wenn er aber merkt, dass nach dieser Zeit die Welt doch noch existiert, wäre das bereits ein Fortschritt. In der Psychotherapie nennt man das Expositionstherapie. Damit könnten wir bereits in der Schule anfangen. Dort sollten wir als Kulturtechnik digitale Diäten und Kommunikationsetiketten vermitteln. Das Problem ist, dass wir die ultimativen Antworten noch nicht kennen.

Kinder erleben das Smartphone als Selbstverständlichkeit, wachsen damit auf und bekommen unser Verhalten vorgelebt. Wie können wir ihnen diesen Handy-Knigge mitgeben?

Eltern könnten sich in der Klasse absprechen und zum Beispiel darauf verständigen, dass alle um zwanzig Uhr das Smartphone einziehen. Die Whatapp-Party würde dann nicht stattfindet. Das wäre jedem Kind klar. Selbst wenn ein Kind seinen Eltern das Handy klauen würde, gäbe es niemanden, mit dem er chatten könnte. Es muss eine Kultur aufgebaut werden, die Kinder davon abhält, sich gegenseitig krank und unglücklich zu machen.

Alexander Markowetz ist Autor des Buches "Digitaler Burnout". Als Juniorprofessor der Universität Bonn hat er mit seinem Werk einen Zeitgeist getroffen und ist seitdem viel gefragt.