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"Zweifelhafte Kontinuität" - internationale Pressestimmen zur Wahl

2. November 2010

Den Sieg von Dilma Rousseff bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien kommentieren Tageszeitungen in Spanien, Norwegen, Österreich und Deutschland.

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Bild: AP

Die spanische Zeitung "El Periódico de Catalunya" aus Barcelona sieht im Wahlsieg Rousseffs eine zweifelhafte Kontinuität:

"Mit der Wahl vom Dilma Rousseff haben die Brasilianer sich mit großer Mehrheit für die Kontinuität entschieden. Allerdings gibt es auch Zweifel. Die größte Frage ist, welche Rolle der bisherige Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva im Hintergrund spielen und wie viel Eigenständigkeit die Nachfolgerin haben wird. Schwierigkeiten sind auch innerhalb der regierenden Arbeiterpartei zu erwarten. Lula konnte Streit über den politischen Kurs allein mit seinem Charisma und Prestige überwinden. Ob Rousseff dies auch schafft, ist fraglich. Schon jetzt zeigen sich Differenzen zwischen dem Umfeld der Wahlsiegerin und dem Team des noch amtierenden Präsidenten."

Brasilien hat ein gutes Rezept gefunden, meint die konservative norwegische Tageszeitung "Aftenposten" aus Oslo:

"Dilma Rouseff wird oft als kompetente Bürokratin geschildert. Ihr fehlt das Charisma und die Volkstümlichkeit ihres Vorgängers Lula da Silva. Auch ist sie früher nie bei einer demokratischen Wahl als Kandidatin angetreten. Ihre Stärke sind gute strukturelle Kenntnisse der politischen Prozesse. Genau wie Lula kann sie sowohl die brasilianische Arbeiterpartei wie die Chefs von Wirtschaftsunternehmen ansprechen. Das Geheimnis des Erfolges von Brasilien besteht in einer gelungenen Formel zur Verbindung von wirtschaftlichem Wachstum und sozialem Fortschritt. Millionen Menschen sind aus Armut in die Mittelklasse aufgestiegen."

Die Wiener Zeitung "Der Standard" sieht Rousseff vor völlig neuen Herausforderungen:

"Die Politik von Luiz Inácio Lula da Silva machte aus dem einstigen Armenhaus eine aufstrebende Wirtschaftsmacht. Brasilien wird heute mit Giganten wie China und Indien verglichen. Lula übernahm 2003 das Steuer einer Nation, die von wachsender Armut und Inflation gezeichnet war. Aufwendige Sozialprogramme haben unter seiner Präsidentschaft Millionen Brasilianern den Weg aus der Armut gewiesen und dem Land ein starkes Wachstum beschert, dessen Früchte auch bei der breiten Masse der Menschen ankommen. Dilma Rousseff steht nun völlig neuen Herausforderungen gegenüber. Im Gegensatz zu Lula tritt sie nicht mehr nur als Hoffnung der Armen an. Sie muss auch den Erwartungen einer wachsenden Mittelschicht gerecht werden, die in den vergangenen Jahren den Sprung aus dem Elendsviertel geschafft hat. Um für diese gut bezahlte Jobs in Industrie und Dienstleistung zu schaffen, ist ein gewaltiger wirtschaftlicher Umbau nötig."

Rousseff steht vor einer schweren Aufgabe, glaubt auch die "Frankfurter Rundschau":

"So erfolgreich Lula war, so viele Probleme hat er für Dilma übrig gelassen. Brasiliens Schulen werfen massenweise Abbrecher und Analphabeten aus. Das Gesundheitssystem ist zwar für alle da, aber nur wer Geld hat, wird gut betreut. Wer sicher leben und wohnen will, muss Gitter und Wächter bezahlen. Und Brasilien ist nach wie vor ein grotesk ungleiches Land, auch wenn – oder gerade weil – Lula das Kunststück fertiggebracht hat, die Reichen reicher und die Armen ein wenig weniger arm gemacht zu haben."

Zusammengestellt von Oliver Pieper.