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PolitikAfrika

Südafrika: "Wer bekommt den Sauerstoff zuerst?"

Adrian Kriesch
7. Januar 2021

Auf dem afrikanischen Kontinent ist Südafrika mit mehr als eine Million Infektionen am stärksten von der Pandemie betroffen. Es fehlt an Sauerstoffgeräten und Intensivbetten. Adrian Kriesch berichtet aus Kapstadt.

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Wartende Patienten im Krankenhaus in Khayelitsha, Südafrika
Bild: Adrian Kriesch/DW

Doktor Suzan Mukonkole runzelt die Stirn, während er durch das Krankenhaus in Khayelitsha läuft, dem größten Armenviertel Kapstadts. Das Foyer des Gebäudes ist mittlerweile der Behandlungsraum für Notaufnahme-Patienten, die nicht an COVID-19 erkrankt sind.

Mukonkole läuft weiter in die Corona-Abteilung – hier fehlen die Betten. Seit neun Jahren arbeitet der Kongolese hier, sowas hat er noch nicht erlebt. In einem kleinen Wartezimmer sitzen rund 30 Patienten auf Stühlen. Seit drei Tagen sitze sie hier und warte auf ein Bett, ruft eine ältere Frau, die wegen dem Husten ihrer Nachbarn kaum zu verstehen ist.

Mukonkole nimmt die Lage erstaunlich gelassen und zeigt auf das Zimmer nebenan. "Die hier sind zu schwach, um auf einem Stuhl zu sitzen. Darum sind sie auf den Liegen. Und sie brauchen alle Sauerstoff."

"Manchmal fühlst du dich hilflos"

Seit März arbeiten er und seine Kollegen im Krisenmodus. Jeder Dritte seiner Kollegen hier hatte bereits COVID-19. Und seit Dezember steigen die Fallzahlen wieder – und damit die Arbeit.

"Manchmal fühlst du dich hilflos, weil du nicht genug Platz hast. Manchmal haben wir nicht genug Sauerstoffgeräte", sagt der Arzt. Dann müsse improvisiert werden – zwei Patienten teilen sich einen Anschluss. "Und manchmal musst du dich entscheiden: wer bekommt den Sauerstoff zuerst? – und wer muss warten. Das ist schon sehr belastend."

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Doktor Suzan Mukonkole
Mukonkole und Kollegen müssen harte Entscheidungen treffen, weil sie nicht alle Patienten gleichzeitig versorgen könnenBild: Adrian Kriesch/DW

Im Schnitt stirbt im Krankenhaus jeden Tag ein Mensch mit einer COVID-19-Erkrankung – dabei ist dieses Hospital kein designiertes Corona-Krankenhaus. Es gibt ein kleines Zimmer mit besseren Betten: Akutpatienten, die auf ein Intensivbett in einem anderen Krankenhaus warten.

Fehlende Betten, Mangel an Fachpersonal

"Das Haus brennt", sagt Nomafrench Mbombo bei einem Besuch, die Gesundheitsministerin der Region Westkap. Schon vor der Pandemie gab es im überlasteten staatlichen Gesundheitssystem ein Punkte-System für die Vergabe von teuren Intensivbetten. Das Problem seien allerdings weniger die fehlenden Betten, so die ehemalige Krankenschwester Mbombo, sondern eher der Mangel an Fachpersonal.

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Zwei Patienten im Krankenhaus in Khayelitsha
"Das Haus brennt" - Krankenhäuser platzen aus allen NähtenBild: Adrian Kriesch/DW

Südafrika hat mittlerweile wieder die Lockdown-Regeln angezogen. Eine strengere Maskenpflicht, geschlossene Strände. Der Alkoholverkauf wurde bereits zum dritten Mal während der Pandemie verboten – und wie jedes Mal sanken danach fast sofort die Zahl der alkoholbedingten Notfalleinweisungen durch Unfälle und Schlägereien. Das lässt etwas Zeit zum Atmen, sagt Doktor Mukonkole in Khayelitsha.

Doch die Infektionszahlen werden in den nächsten Tagen weiter steigen, vermutet Wolfgang Preiser, der Leiter der Virologie-Abteilung der Universität Stellenbosch. Denn die strengeren Lockdown-Maßnahmen wurden erst nach den Weihnachtsfeierlichkeiten verkündet. Die offiziellen Fallzahlen werden auch nicht mehr die Realität widerspiegeln – an staatlichen Einrichtungen werden nur noch Menschen mit Symptomen getestet, die über 45 Jahre alt sind.

Jeder zweite Test positiv

In Preisers Labor ist mittlerweile jeder zweite Test positiv. Der Virologe ist trotzdem optimistisch, dass die Zahlen in wenigen Wochen sinken werden. Doch es drohen weitere Wellen, warnt er. "Es muss ein großer Teil der Bevölkerung geimpft werden, um etwas zu bewirken", sagt Preiser. "Weder die aktuelle starke Welle noch die Ankunft eines Impfstoffes Mitte 2021 für einen kleinen Teil der Bevölkerung wird da große Auswirkungen haben." Erst wenn mindestens 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, bestehe Herdenimmunität.

Wolfgang Preiser mit einem Mitarbeiter in seinem Labor
Mindestens 60 Prozent der Bevölkerung müsse für eine ausreichende Herdenimmunität geimpft werdenBild: Adrian Kriesch/DW

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat angekündigt, dass das Land im Rahmen der Covax-Initiative mehrerer Regierungen und der Weltgesundheitsorganisation Mitte des Jahres die ersten Impflieferungen erhält – doch die dürften vorerst nur für zehn Prozent der Bevölkerung reichen. Das Land führe außerdem Gespräche mit Impfstoff-Herstellern, sagt Südafrikas Gesundheitsminister. Details könne er noch keine nennen.

Der Epidemiologe Salim Abdool Karim hat die Hoffnung geäußert, dass in den nächsten Wochen und Monaten ein Impfstoff auf den Markt kommt, der nur einmal geimpft werden muss. Karim berät die Regierung und hofft, dass die Regierung so erhebliche Kosten sparen könnte. Die Mehrheit der aktuellen Impfstoffe muss außerdem bei erheblichen Minustemperaturen gelagert werden, was eine Impfkampagne gerade im ländlichen Raum schwierig machen würde.

Unklare Impfstrategie

Wie eine solche Impfkampagne aussieht, sei außerdem noch unklar, beklagt der Virologe Preiser. "Wir erfahren nichts davon – und das macht uns Sorge." Er hofft aber, dass Südafrika und andere Länder Afrikas in den nächsten Monaten davon profitieren könnten, dass reiche Länder mehr Impfdosen geordert haben, als sie benötigen. Der Überschuss könne an Entwicklungsländer weitergegeben werden, glaubt Preiser.

Bei der aktuellen Welle macht Preiser vor allem eines Hoffnung:  erste Studien im Township Khayelitsha zeigen, dass während der ersten Welle bereits bis zu 40 Prozent der Bewohner in Armenvierteln infiziert wurden – die nun möglicherweise immun sind. Social Distancing ist und war dort für viele unmöglich. In einigen Teilen Khayelitshas seien die Infektionsraten deshalb möglicherweise noch niedriger als während der ersten Welle. Doktor Mukonkole und sein Team wollen sich darauf aber nicht verlassen. Vor ihrem Krankenhaus wurde mittlerweile ein zusätzliches Behandlungszelt gebaut. Die Ärzte stellen sich auf harte Wochen ein.

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