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"Zwischen Bewunderung und Furcht"

Birgit Goertz4. Oktober 2012

Im Gespräch mit der DW spricht Dittmar Dahlmann, Professor für Osteuropäische Geschichte in Bonn, über das deutsch-russische Verhältnis. Aktuell sei das nicht gut, meint er, und kritisiert besonders die russische Seite.

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Büste Karl Marx in einer Ausstellung zur deutsch-russischen Geschichte (Foto: Roland Scheidemann dpa/lnw)
Büste Karl Marx in einer Ausstellung zur deutsch-russischen GeschichteBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Deutsche Welle: Eine große Ausstellung in Berlin zeigt die historische Tiefe und die Vielfalt der Verbindungen zwischen Russen und Deutschen. Deutsche und Russen haben ein ganz unterschiedliches Verhältnis zu ihrer jeweils eigenen Geschichte. Wie würden Sie das charakterisieren?

Dittmar Dahlmann: In Deutschland kann man ja sagen, dass es aufgrund der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein sehr distanziertes Verhältnis gibt. In Russland ist das ganz anders. Dort hat man trotz aller negativen Erfahrungen mit dem Stalinismus in der Sowjetunion ein durchaus positives Verhältnis zur eigenen Geschichte. Zudem sind die Menschen insgesamt sehr geschichtsbewusst, auch in der nicht-akamdemischen Welt.

Stalin hat bis heute Anhänger: Ein Mann in Georgien hält ein Porträt des Diktators (Foto:Shakh Aivazov/AP/dapd)
Stalin hat bis heute AnhängerBild: dapd

Würden Sie zustimmen, dass es in der jüngsten Zeit eine Tendenz zur Glorifizierung der Geschichte gibt?

Ja, das ist eine Entwicklung, die in Russland in der Zeit nach Boris Jelzin eingesetzt hat: Eine von der Regierung und von Putin betriebene Glorifizierung der eigenen Geschichte mit dem Wunsch, die Großmachtposition Russlands wiederherzustellen oder zumindest zu behaupten. Außerdem lenkt die Beschäftigung mit der eigenen Größe von aktuellen Schwierigkeiten ab.

Früher, in den Jahren von Präsident Jelzin, wurde die Aufarbeitung von Geschichte durch Nichtregierungsorganisationen wie "Memorial" gefördert, das ist heute nicht mehr der Fall. 

Dass es in Russland zunehmend für schwieriger für NGO's wie Memorial wird, das weiß jeder, ausgenommen vielleicht unsere Regierung oder die Europäische Union, die das einfach so hinnehmen, ohne dagegen ihre Stimme zu erheben. Wenn man den russischen Fall betrachtet, so habe ich auf dem Historikertag in Mainz vergangene Woche gehört, ist die Ausstellungseröffnung in Moskau mehrfach verschoben worden, weil das Büro von Herrn Putin sich nicht äußern wollte, ob und wann Herr Putin denn nun an der Ausstellungseröffnung teilnehmen wolle. (Seit Juni läuft in der russischen Hauptstadt wurde die Schwesterausstellung der Berliner Schau, Anm. d.Red.) Schlussendlich kam die Eröffnung dann sehr kurzfristig. Herr Putin hat nicht teilgenommen, und das zeigt das momentane Interesse der russischen Regierung an deutschen, gemeinsamen Projekten.

Erinnerung an den Sieg über Napoleon 1812: Ein Umzug in historischen Kostümen über den schlossplatz in St. Petersburg
Erinnerung an den Sieg über Napoleon 1812Bild: Reuters

Zwischen Bewunderung und Furcht

Wie würden Sie denn das deutsch-russische Verhältnis in der Geschichte charakterisieren?

Seit Peter dem Großen gab es einen sehr lebendigen Austausch: dynastische Verbindungen, preußische Prinzessinnen, die Zarinnen wurden, Literatur. Jeder gebildete Russe kennt die wichtigen deutschen Schriftsteller und hat sie auch gelesen. Heinrich Heine war in Russland immer populärer als in Deutschand, später Thomas Mann und Heinrich Böll. Es gibt da ein großes Interesse von russischer Seite an deutscher Kultur und Miteinander. Eine Mischung aus Bewunderung und Furcht, weil der Deutsche immer so akkurat ist. Das ist ja auch ein Lehnwort im Russischen aus dem Deutschen: "akkuratno".

Umgekehrt sind die russischen Fußabdrücke erst nach 1917 wirklich sichtbar.

Das würde ich relativieren wollen. Es gab im 19. Jahrhundert eine Reihe russischer Prinzessinnen, die nach Deutschland geheiratet haben. Aber es ist schon ein gewisses Ungleichgewicht. Russen werden in Deutschland spätestens Mitte des 19. Jahrunderts wahrnehmbar, als Russen nach Deutschland zum Studium kamen, nach Heidelberg oder an die Technischen Universitäten. Und dann sind da natürlich die Russen in deutschen Badeorten. Das ist ja inzwischen erneut belebt. Dostojewskij hat sein Geld in Wiesbaden und Baden-Baden verspielt. Turgenjew lebte lange Jahre in Baden-Baden.

Der russische Präsident Vladimir Putin (Foto: afp)
Der russische Präsident Vladimir PutinBild: AFP/Getty Images

Gibt es geschichtliche Zufälle?

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sehen wir in beiden Ländern den Zusammenbruch des Staates nach dem 1. Weltkrieg, Revolution, Diktatur und Totalitarismus. Ist das Zufall oder gibt es Parallelen?

Nun, darüber lassen sich viele Bücher schreiben. In beiden Ländern gab es gewisse Voraussetzungen, die zum Totalitarismus geführt haben. Wesentlich ist meiner Ansicht nach ein mangelndes Demokratieverständnis. Zudem waren beide Verlierer des Krieges 1914 bis 1918. Das hat beide Länder ins Chaos gestürzt und damit Voraussetzungen geschaffen, um totalitäre Diktaturen an die Macht zu bringen.

Nach dem Krieg ist die Sowjetunion in der DDR als Besatzungsmacht sichtbar. Chancen, ein Freundschaftsverhältnis aufzubauen, wurden aber verpasst.

Man soll das ja nicht ins Lächerliche ziehen, aber es gab in der DDR diesen Witz, in dem der Sowjetbürger dem Bewohner der DDR sagt: Komm, lass uns brüderlich teilen. Worauf der DDR-Bürger sagt: Nee, nee, nix brüderlich, sondern halbe halbe! Das macht das Verhältnis deutlich: Die sowjetischen Besatzer wurden auch als solche empfunden. Auch haben sich die Besatzer zunächst nicht so aufgeführt - mit all den Lagern und den Verfolgungen - als wollten sie Freunde werden.

Wo steht das deutsch-russische Verhältnis heute?

Wir stehen an einem ausgesprochen schlechten Punkt. Das liegt daran, dass von Seiten der EU-Regierungen Russland ungehindert und ungestraft tun lassen kann, was es möchte. Man weist die Leute nicht darauf hin, dass es auch andere Formen des Umgangs gibt. Wenn ich sehe, wie die Aktivitäten von NGOs erschwert werden oder Angestellte der deutschen Forschungsgemeinschaft, die ja offiziell arbeiten, sich in die Schlage einreihen müssen, um Visa zu bekommen. Ich bin auch nicht sehr optimistisch. Die Schwierigkeiten, die man immer noch in russischen Archiven hat, oder ein Visum zu bekommen, das war vor zehn Jahren erheblich leichter. Es liegt auch, das sage ich jetzt in aller Deutlichkeit, an dem Größenwahn, den Herr Putin und seine Entourage zeigen.

er Schlossplatz in Sankt Petersburg (Foto: dpa)
Der Schlossplatz in Sankt PetersburgBild: picture-alliance/dpa

Und wie arbeiten Sie auf kollegialer Ebene mit russischen Wissenschaftlern zusammen?

Ich habe sehr gute Kontakte nach Moskau und St. Petersburg. Ich habe eine Reihe von Projekten durchgeführt. Das ist aber kein institutionelles, sondern ein persönliches Verhältnis, das man hat. Es stehen wieder Bücher an in Kooperation mit russischen Kollegen. Das läuft ganz ordentlich. Aber die Beziehungen generell sind nicht sehr gut.