Zwischen Gammel und Genialität
7. April 2004Mit nur vier veröffentlichten Alben sicherte sich die Band Nirvana innerhalb kürzester Zeit ihren festen Platz in der Rockgeschichte. Ihr zweites Album "Nevermind" löste 1991 einen Erdrutsch aus: 10 Millionen verkaufte Platten innerhalb weniger Monate. Plötzlich lief Nirvanas ungeschliffener Rock im Radio und den einschlägigen TV-Videosendern rauf und runter.
"Smells like Teen Spirit"
In Frontmann Kurt Cobain hatte eine Jugendbewegung ihre Ikone gefunden, mit dem Titel "Smells Like Teen Spirit" hatten er und seine Bandkollegen Krist Novoselic und Dave Grohl die entsprechende Hymne geliefert. Mit Nirvana war eine Subkultur gesellschaftsfähig geworden: Der "Grunge" wurde zum Sprachrohr der so genannten "Generation X".
"Grunge war vor allem eine Verneinungskultur", erklärt Professor Udo Dahmen, Chef der ersten Deutschen Popakademie in Mannheim: "Dahinter steckt das Lebensgefühl einer Generation, die gegen die moderne Yuppie- und Businessgesellschaft war. Das waren die Kinder der 1968er, die zwischen Kommerz und Konsum während der 1990er Jahre die Orientierung verloren und das Leben im Überfluss immer mehr verachteten."
Ende im Desaster
Schmuddellook und fettige Haare, der "Mut zur Hässlichkeit", wie Udo Dahmen ihn beschreibt, waren Kennzeichen der Band aus Seattle. Die Musik: laut, hart und stark beeinflusst von den klassischen Rocksounds der 1970er Jahre. "Alle elektronischen Elemente wurden verbannt und die Konzerte waren keine durchgestylten Unterhaltungsshows", erinnert sich Dahmen: "das waren eher so 'Auf-den-Boden-Gucker', die auf der Bühne ihr Ding durchzogen."
Nur mit dem weltweiten Erfolg, dem Medienrummel und dem Superstar-Image kam die Band immer weniger zurecht. Vor allem der sensible Sänger litt zunehmend. "Seine Privatperson und seine persönliche Einstellung deckten sich immer weniger mit der öffentlichen Person und dem Superstar 'Kurt Cobain', erklärt Dahmen: "das ließ ihn schließlich an seinem eigenen Erfolg scheitern." Zunehmende Drogenexzesse und Depressionen endeten schließlich im Desaster: Am 5. April 1994 nahm sich der Nirvana-Frontmann mit einer Schrotflinte in seinem Haus in Seattle das Leben.
Mythos, Kult und Gerüchte
Nicht zuletzt dieses tragische Ende verhalf der Band zum endgültigen Kultstatus. Mit dem Selbstmord Cobains war ein neuer Mythos geboren, um den sich bis heute immer neue Verschwörungstheorien und Legenden ranken. "So ein Tod lässt immer jede Menge Platz für Spekulationen und Projektionen", sagt Dahmen, "das trägt natürlich zu dieser Mythologisierung bei, das ist ja auch in anderen Fällen, etwa bei Jimi Hendrix oder John F. Kennedy nicht anders gewesen."
Zehn Jahre nach dem Tod Cobains, in Zeiten von Castingshows, Boygroups und weichgespültem Pop finden Neuauflagen von Nirvana, "Best-of -Alben" und Live-Veröffentlichungen immer noch reißenden Absatz, der Einfluss der Rebellen aus Seattle strahlt ungetrübt. "Nirvana war stilbildend", sagt Udo Dahmen: "Was heute unter dem Etikett 'Cross Over' läuft, diese Mischung aus Heavy-Metal-Gitarrenriffs, eingängigen Melodien und der Tatsache, dass sie eher schreien als singen, ist eindeutig auf Nirvana und die Grunge-Bewegung zurückzuführen."
Avantgarde wird Mainstream
Eine Subkultur ist diese Musikrichtung jedoch schon lange nicht mehr, die Bands erweisen sind durchaus als chartfähig. Und auch mit Ruhm und Kommerz hat die Post-Grunge-Generation keine Probleme mehr, das bringe jedoch die Zeit mit sich, so Dahmen, denn "die Avantgarde von gestern ist der Mainstream von heute."