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Im Kino: "Hitlers Hollywood"

Jochen Kürten
23. Februar 2017

Während des Nationalsozialismus entstanden über 1000 Spielfilme. Rüdiger Suchsland hat sich intensiv mit diesen Werken beschäftigt. Sein Film "Hitlers Hollywood" kommt jetzt in die Kinos. Ein Gespräch mit dem Autor.

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Filmszene Dokumentarfilm "Hitlers Hollywood" von Rüdiger Suchsland
Bild: Farbfilm Verleih

Deutsche Welle: Bei den deutschen Filmen, die zwischen 1933 und 1945 entstanden, denkt man natürlich zunächst an Propagandafilme - aber: Machen die "richtigen" Propagandafilme nicht nur einen kleinen Teil der damaligen Produktion aus?

Rüdiger Suchsland: Ja, die eigentlichen Propagandafilme schon. Man muss aber natürlich auch sagen, dass in einem bestimmten Sinne alle Propagandafilme waren, weil es in dieser Zeit kein unpolitisches, unschuldiges Kino gab. Selbst Filme von Regisseuren wie Peter Pewas oder Helmut Käutner, die eindeutig keine Nazis waren und die sich distanziert haben, selbst die haben im Schatten des Regimes gearbeitet. Auch sie mussten ihre Filme schon im Drehbuch-Stadium der Zensur vorlegen. Goebbels hat sie alle gesehen.

Er hat auch Helmut Käutners "Unter den Brücken" gesehen, der immer als Widerstandsfilm oder Desertationsfilm gehandelt wird. Und Goebbels hat ihn im Übrigen auch gut gefunden. Goebbels hat ja durchaus etwas von Film verstanden. Aber er hat "Unter den Brücken" politisch nicht für opportun gehalten, deshalb wurde er dann auch nicht gezeigt. Insofern waren gewissermaßen alle Regisseure dieser Schere im Kopf ausgesetzt. Was sie fertigstellten, das mussten sie zeigen - das wussten die Regisseure. Sie wussten auch, dass sie es in irgendeiner Weise rechtfertigen mussten. Im schlimmsten Fall war das für sie auch mit Konsequenzen bis hin zur Lebensgefahr verbunden. Das heißt: Alle diese Filme sind durch die Ideologie kontaminiert.

Filmszene Dokumentarfilm "Hitlers Hollywood" von Rüdiger Suchsland
Filme wie "Zwei in einer großen Stadt" von 1942 sollten den Kriegsalltag verdrängenBild: Farbfilm Verleih

Eine sehr große Rolle spielte damals das Unterhaltungskino. Wie nutzten die Nazis das?

Gerade das Unterhaltungskino war ja auch ein Teil des Regimes. Man kann sagen, dass das Naziregime vor allem auch durch die Medien mit der Bevölkerung kommuniziert hat. Also die Massenveranstaltungen, an die wir denken, die waren nur ein kleiner Teil. Mit dem Radio und mit dem Kino erreichte man die wirklich großen Gruppen, auch die Leute, die keine Zeitung lasen und schon gar nicht "Mein Kampf" oder solche Werke. Die haben natürlich Filme geguckt. Die sind auch wegen der Stars ins Kino gegangen.

Wir wissen von vielen jüdischen Bürgern in Deutschland und Österreich, wir wissen von vielen Widerständlern, die nichts mit den Nazis am Hut hatten, sich diese Filme aber natürlich angeschaut haben. Und zu diesen Vorstellungen gehörten die ideologisch hoch aufgeladenen Wochenschauen, die Goebbels auch persönlich jede Woche abgenommen hat. Und dazu gehörten auch die sogenannten Kulturfilme. Das waren grobe, verzerrende ideologische Machwerke, die im Gewand des Dokumentarfilms daherkamen. Das musste man erst mal über sich ergehen lassen, wenn man seine Stars wie Zarah Leander oder Heinz Rühmann anschauen wollte.

Filmszene Dokumentarfilm "Hitlers Hollywood" von Rüdiger Suchsland
Großer Kassenerfolg von 1942: "Das große Spiel" - Sport als AblenkungBild: Farbfilm Verleih

Filme wurden - zumindest in den letzen Kriegsjahren - auch ganz bewusst gedreht, um das Volk abzulenken…

Genau. Die Filme wurden eigentlich schon von Anfang an als Ablenkungs- und Einlullfilme gedreht. Es ist ja interessant: Direkt nach der Machtergreifung haben sich einige Regisseure - manche aus Opportunismus, manche aus Ideologie - vorgedrängt und wollten den "Super-Regime-Propagandafilm" machen. Filme wie "Hans Westmar - Einer von vielen" oder "Hitlerjunge Quex" entstanden. Das war Goebbels aber zum Teil zu plump.

Es ging vielmehr darum, den Leuten die Ideologie gerade nicht so dick und deutlich sichtbar zu präsentieren. Es ging darum, die Ideologie gewissermaßen hineinzuträufeln wie eine Medizin, die man gar nicht mehr schmeckt. Und dann ging es natürlich auch immer um Ablenkungen und Glücksversprechungen, um Illusionen. Das war ein Illusionskino, das einerseits die Kulissen auch ganz offen ausstellte - mit Theaterbühnen, eben Schaubetriebe. Die Filme mit Marika Rökk sind ein gutes Beispiel dafür.

Oft wurde ja auch in die Vergangenheit geblickt!

Ja, es war auch ein Kino, das sich in historischen Welten bewegte, wo die Übergange zwischen der Realität in der Filmhandlung und den Träumen der Filmfiguren, auch den Tagträumen, den Wunschphantasien, auch den Ängsten, fließend waren. So fließend, dass man sie im Kino oft schon nicht mehr unterscheiden konnte: Träumt die Figur das jetzt oder ist das echt?

Genauso würde ich behaupten, dass es auch in der Wirklichkeit um diese Art von Übergängen ging. Die Zuschauer sollten, wenn sie aus dem Kino gingen, das, was sie da gesehen haben, mitnehmen und die Wirklichkeit auch als eine Art Fortsetzung des Kinos mit anderen Mitteln sehen. Sie sollten Realität und Traum, Wirklichkeit und Phantasie miteinander verwechseln und die Unterschiede nicht mehr wahrnehmen.

Filmszene Dokumentarfilm "Hitlers Hollywood" von Rüdiger Suchsland
Beispiel für einen Revuefilm mitten im Zweiten Weltkrieg: Käutners "Wir machen Musik" mit Ilse Werner und Georg ThomallaBild: Farbfilm Verleih

Ihr Film beginnt mit Ausschnitten aus "Morgenrot" von 1933 (Regie: Gustav Ucicky, ein patriotisches U-Boot-Drama) und man erfährt, dass dieser Film ja schon vor Machtergreifung der Nazis begonnen wurde. Warum ist das wichtig?

Die Nazis fielen ja 1933 nicht vom Himmel. Es gab deshalb 33 natürlich nicht einen plötzlichen Umschlag, sondern es gab einen ruppigen Übergang. Es gab keine Stunde Null, das heißt: Die Nazis haben sich vorher angedeutet, in den Filmen wie in der Gesellschaft. Die wurden immer stärker und das hat man natürlich auch im Kino gesehen, in den UFA-Produktionen. Alfred Hugenberg, der unter anderem die UFA kontrollierte, wurde oft als "Steigbügelhalter Hitlers" bezeichnet.

So wie es ein linkes und ein kommunistisches Kino gab in der Weimarer Republik, gab es auch ein rechtes, ein revanchistisches Kino, ein nationalistisches und dann eben auch ein faschistisches Kino, bei dem man auch die verlorene Monarchie feierte. Die Filme mit Otto-Gebühr als Friedrich der Große, die U-Boot-Filme, die Filme, die die Dolchstoßlegende ins Kino brachten, sind Beispiele.

Und Jahre später, als der Krieg verloren ging, gab es ja dann keinen richtigen Bruch. Hat sich das in Varianten wiederholt?

Auch nach 1945 gab es keine Stunde Null für das deutsche Kino. Und es gab das im Kino noch weniger als in der deutschen Gesellschaft. Man spricht von Übergangsfilmen, von Überläuferfilmen, die im "3. Reich" begonnen wurden, übrigens auch in Ostdeutschland. Es gab eine Kontinuität. Leute wie Veit Harlan, der "Jud Süß" gedreht hatte, oder Wolfgang Liebeneiner haben weitergearbeitet.

Gerade Liebeneiner ist interessant. Der hat 1943 den Film "Großstadtmelodie" gedreht, dem man nachsagt, dass er für gewisse Absetzbewegungen (von der Nazi-Ideologie, Anmerkung d. Red.) stand. Auf der anderen Seite hat er einen der schlimmsten Vorbehaltsfilme gemacht, "Ich klage an", eine Rechtfertigung von Morden. "Ich klage an" hat die Euthanasie rechtfertigt, sie so verbrämt, dass das Töten Behinderter rechtfertigt wird, indem er eine Analogie zur Sterbehilfe herstellt.

Kritiker und Autor Rüdiger Suchsland
Regisseur Rüdiger Suchsland Bild: A. Müller

Rund 40 Filme gehören zum Korpus der sogenannten "Vorbehaltsfilme", Werke also, die zwischen 33 und 45 entstanden sind und die nur unter bestimmten Bedingungen gezeigt werden dürfen. Wie stehen Sie dazu? Ist das noch zeitgemäß?

Die Frage der Vorbehaltsfilme ist natürlich eine, die ich indirekt in meinen Film auch berühren wollte. Es gab vor ein paar Jahren genau zu dem Thema ja einen sehr guten Film von Felix von Moeller: "Verbotene Filme". Der Titel gefällt mir zwar nicht, weil er ja andeutet, dass da Filme tatsächlich verboten sind - und das stimmt ja nicht, denn man kann bei uns ja alles ansehen. Allerdings diese 40 Filme nur unter bestimmten Bedingungen.

Und wenn man sich einige von denen anschaut, "Ich klage an" zum Beispiel oder "Jud Süß", dann gibt es gute Gründe, das auch zu tun. Das sind Filme, die sind böse, die sind schwer verständlich. Wenn man die sieht und keine Ahnung hat, nicht nur als unbefangener Mensch, sondern auch als uninformierter Zuschauer, dann kommt man da nicht raus und wird zum Nazi. Aber die kaum spürbare Dosis, die da hineinsickert, ist gefährlich. Weil man kaum merkt, dass man sich da moralisch, politisch und auch ästhetisch auf eine schiefe Ebene einlässt.

Filmszene Dokumentarfilm "Hitlers Hollywood" von Rüdiger Suchsland
Ilse Werner in Helmut Käutners "Große Freiheit Nr. 7" (1944), der Film ist von Resignation und Wehmut geprägtBild: Farbfilm Verleih

Gibt es denn außerhalb dieser angesprochenen Filme nicht auch noch andere Beispiele für sehr problematische Werke aus der NS-Zeit?

Die meisten dieser Vorbehaltsfilme sind reißerische Kriegsfilme, die, wenn man sie heute anguckt, ein Stirnrunzeln und ein Lachen über die Primitivität provozieren. Ich glaube nicht, dass der Großteil der Vorbehaltsfilme wirklich gefährlich ist. Ich glaube allerdings, dass man bedenken sollte: Es gibt eine ganze Menge Filme, die frei im Umlauf sind (auf DVD, im Ausland, auf YouTube), die viel gefährlicher sind (als einige der Vorbehaltsfilme), weil sie nämlich stärker die Ideologie ummänteln, weil sie nicht so plump sind. Ich finde zum Beispiel Filme wie Veit Harlans "Verwehte Spuren" (1938) viel schlimmer. Ein Film, der ganz infam ist, weil er Denunziation und Polizeiüberwachung, eine diktatorische Überwachung, rechtfertigt und dem Publikum eine Art von Unterwerfungshaltung suggeriert.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Rüdiger Suchslands Dokumentation "Hitlers Hollywood" läuft am 23. Februar in den deutschen Kinos an.