Zwischen Religiosität und Kommerz
31. Juli 2009Auf dem überdachten Rasen der Commerzbank Arena reihen sich unzählige Stühle aneinander, und dort, wo eigentlich das Tor steht, wartet eine große Bühne in rot und orange. In der Mitte: ein reich verzierter Thron. Bis der Dalai Lama hier Platz nehmen wird, ist noch eine halbe Stunde Zeit. Mehrere Tausend Menschen sind gekommen, um Seine Heiligkeit, das geistliche Oberhaupt des tibetischen Volkes, zu treffen. Michaela Martini ist eigens aus München angereist. "Ich wollte den Dalai Lama schon immer sehen", erzählt sie. "Warum? Weil ich mich schon sehr lange mit Buddhismus beschäftige – und weil ich finde, dass unsere Herzen viel weniger entwickelt werden als unser Verstand, und das sollte anders werden."
Werte wie Mitgefühl, Bescheidenheit und Toleranz will der Dalai Lama verbreiten. Auf Einladung der Deutschen Buddhistischen Union sowie der tibetischen und vietnamesischen Gemeinde ist er nach Deutschland gekommen, um allen Interessierten seine Weltanschauung nahe zu bringen. Eine Idee, die ankommt: Ursula Weber aus der Schweiz hat sich schon vor Monaten eine Karte gekauft. "Ich empfinde den Dalai Lama als einen sehr, sehr weisen, mitfühlenden Mönch, Mystiker und Mensch. Ich denke, dass es für mich sehr, sehr schön und wertvoll ist, ihn zu erleben."
Meditation statt Fußballspiel
Auffallend ruhig geht es im Stadion zu. Kein Schreien, kein Drängeln, kein lautes Geplapper. Die Besucher machen es sich auf ihren Plätzen bequem, manche haben eine Decke oder ein Kissen mitgebracht. Konstantin Bargiotis hält ein Notizbuch in der Hand. Der 33-Jährige ist aus Stuttgart angereist und hat sich für den Dalai Lama extra frei genommen. "Ich muss sagen, ich habe dem Tag entgegengefiebert", erzählt er. "Ich habe mich darauf gefreut, hierher zu kommen – um das hier zu genießen, um den Dalai Lama zu sehen, vor allem: um ihn live zu sehen."
Endlich betritt der Dalai Lama die Bühne: Freundlich lächelnd, zurückgenommen, bescheiden. Fast hätte man ihn nicht bemerkt, so wenig Aufhebens macht er von seiner Person. In dem tiefroten Gewand sieht er genauso aus, wie man ihn von Bildern kennt: menschlich, zugewandt. Er begrüßt die Menschen, nimmt auf seinem Thron Platz und beginnt mit seiner buddhistischen Unterweisung. Ein Dolmetscher übersetzt für ihn. Auf großen Bildschirmen neben der Bühne können auch diejenigen, die weit entfernt sitzen, den Dalai Lama sehen und seinem Vortrag folgen. Konstantin Bargiotis ist angetan von dem 73-Jährigen: "Ich finde sehr gut, dass der Dalai Lama darauf hinweist, dass die Leute ihre alten Religionen, oder die Religionen, denen sie angehört haben, nicht vergessen, nicht verleumden sollen und dann zum Buddhismus übertreten. Ich bin griechisch-orthodox getauft, aber hab mich mit diesem Glauben nie identifizieren können, weil es mich einfach nie erfüllt hat."
Hot Dogs statt buddhistischer Besinnung
So gut ihm der Vortrag des Dalai Lama gefällt – so unzufrieden ist Konstantin Bargiotis mit der Veranstaltung selbst. In der Mittagspause bilden sich lange Schlangen vor den wenigen Buden, in denen es Snacks und Getränke gibt. Die Hot Dogs und Nutella-Crepes wollen zur buddhistischen Besinnung nicht so recht passen – aber Essen und Trinken mitzunehmen in die Arena ist nicht erlaubt. Konstantin Bargiotis ist enttäuscht: "Ich habe mir Brote eingepackt und etwas zu trinken – aber das musste ich dann am Eingang wegwerfen. Das finde ich ein bisschen schwach von der Organisation. Und auch die Preise: Vier Euro für einen halben Liter Cola – das finde ich doch ein bisschen vermessen."
Auch außerhalb des Stadions, in einer Gasse aus kleinen weißen Zelten, gibt es eher Kommerz als Kontemplation: asiatischer Schmuck, modische Meditationskissen und Buddha-Figuren in allen Farben und Größen werden dort angeboten. Konstantin Bargiotis findet auch das überteuert: "Ich war schon selber in Asien und weiß, was die Dinge dort kosten. Für eine Kette 60 Euro zu verlangen, ist doch sehr teuer, muss ich sagen." Dabei sind schon die Eintrittskarten nicht eben günstig: Bis zu 230 Euro kosten die Tickets für vier Tage buddhistische Unterweisung. Die Organisatoren wollen damit lediglich die Kosten für die Großveranstaltung decken, heißt es. Falls ein Überschuss erwirtschaftet wird, soll das Geld an gemeinnützige tibetische Hilfsorganisationen gespendet werden. Manchen Besuchern wäre allerdings ein kleinerer Rahmen lieber – zumal die etwa zehntausend Besucher pro Tag die Commerzbank Arena nicht ansatzweise ausfüllen. Die Kongresshalle in Frankfurt hätte als Veranstaltungsort ausgereicht, findet Lydia Wagner. Ihr gefällt die Atmosphäre im Stadion nicht. Aber auch der Dalai Lama selbst hat sie nicht begeistert: "Ich habe erwartet, dass die Inhalte, die der Dalai Lama versucht hat, rüberzubringen, tiefer gehen – also interessanter sind, auch meditativer. Inhaltlich fand ich es langweilig."
Lydia Wagner hat den Dalai Lama schon einmal in der Schweiz gesehen, in einem kleineren Rahmen. Das habe ihr viel besser gefallen, sagt sie. Trotzdem will sie bis Sonntag in Frankfurt bleiben. Michaela Martini aus München stört die Commerzbank Arena nicht. Sie sieht die Großveranstaltung mit dem Dalai Lama – gerade in Zeiten der Krise – eher als eine Herausforderung: "Ich finde, das ist ein toller Kontrapunkt. Es ist ja nicht nur schlecht, was 'Kommerz' und was 'Bank' bedeutet. Ohne die Banken könnten wir ja nicht existieren. Diese Schwarz-Weiß-Malerei finde ich schädlich. Und deswegen finde ich es spannend, dass der Dalai Lama sich so einen Ort gewählt hat. Ich glaube, das kann man wirklich vereinen."
Autor: Anne Allmeling
Redaktion: Thomas Latschan