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Zwischen Terroristen und Militärs

Kersten Knipp28. Oktober 2014

Die Sinai-Halbinsel droht zu einem Hort des Extremismus zu werden. Bleibt es bei der bisherigen Strategie des ägyptischen Militärs, könnten es noch viel mehr werden.

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Panzerwagen auf dem nördlichen Sinai, 21.5. 2013 (Foto: DPA) (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Soldaten hatten keine Chance. Zu dicht war der Wagen an sie herangekommen, bevor dessen Fahrer die Bombe zündete. Der Sprengstoff ging in die Luft und riss 28 Soldaten in den Tod. 30 weitere wurden verletzt. Und wenige Stunden später eröffneten Terroristen das Feuer auf einen Kontrollpunkt der Armee. Drei Militärs starben.

Die ägyptische Staatsspitze reagierte auf die Anschläge im nördlichen Sinai mit aller Härte. "Der Rat versichert den Familien der Märtyer und dem großartigen ägyptischen Volk, dass er ihr teures vergossenes Blut rächen wird", hieß es in einer Regierungserklärung. Zugleich verhängte Staatspräsident Abdel Fatah al-Sisi den Ausnahmezustand über den Sinai. Am Montag (27.10.2014) erweitere Ägypten die Befugnisse seiner Militärgerichte. Diese sind nun auch für Angriffe auf Verkehrs- und Versorgungswege zuständig.

Jahrzehntelange Versäumnisse

Die Botschaft dieser Maßnahmen ist eindeutig: Ägypten wird weiter mit harter Hand gegen die Gewalt auf dem Sinai vorgehen. Die ist für den Staat längst zu einer erheblichen Bedrohung geworden: Allein seit dem Sturz des Ex-Präsidenten Mohammed Mursi wurde auf der Halbinsel über 400 Polizisten und Militärs von Extremisten ermordet.

Ein Touristenbus nach einem Sprengstoffanschlag auf dem südlichen Sinai, 17.2. 2014 (Foto: Getty Images)
Ein Touristenbus nach einem Sprengstoffanschlag auf dem südlichen SinaiBild: Nameer Galal/AFP/Getty Images

Diese machen sich die wirtschaftliche Unterentwicklung ebenso wie die prekäre Sicherheitslage der Region zunutze. Beide Missstände gehen zurück auf das Jahr 1979. Damals schlossen Ägypten und Israel ihren Friedensvertrag. In ihm sicherte sich Israel das Recht, die Halbinsel militärisch zu überwachen. Das ägyptische Militär war dort hingegen kaum vertreten. Darum verzichtete der Staat darauf, große Summen in die Region zu investieren. Stattdessen überließ er sie größtenteils sich selbst. "Dadurch ist in den letzten 30 Jahren auf dem Sinai eine gewaltige Frustration und ein gewaltiger Ärger über die ägyptische Regierung entstanden", sagt der an der Northwestern University in Katar lehrende Politikwissenschaftler Khaled Hroub im Gespräch mit der DW. "Diese Leute wurden sich selbst überlassen."

Die ägyptisch-israelische Grenze, 22.10.2014 (Foto: Reuters)
Bewacht: Die ägyptisch-israelische GrenzeBild: Reuters/Amir Cohen

In diesem Klima gedieh ein militanter Islam, aus dem zu Beginn des neuen Jahrtausends terroristische Gruppen hervorgingen. An einer Reihe von im Jahr 2004 einsetzenden tödlichen Anschlägen auf Touristenhotels im Süden der Halbinsel waren auch Bewohner des Sinai beteiligt. Die Gewalt wuchs nach dem Sturz Mohammed Mursis.

"Ein ägyptischer Irak"

Gegen diese Gewalt geht die Staatsführung mit aller Härte vor. Dem Internet-Magazins "Al-Monitor" zufolge berichten Bewohner der Region von Massenrazzien, in deren Verlauf Tausende der auf dem Sinai lebenden Beduinen ohne Gerichtsurteil verhaftet wurden. Sobald Bürger terroristischer Anschläge überführt wurden, sprengte man oftmals auch ihre Häuser. Auch ihre Angehörigen seien immer wieder verhaftet worden.

"Der Sinai könnte der ägyptische Irak werden", zitiert das Al-Monitor einen Beduinen aus dem Nord-Sinai. "Er könnte sich in ein Spielfeld für extremistische Organisationen verwandeln." Damit spielt der Mann nicht nur auf die weiten, nicht mehr vom Staat kontrollierten Regionen im Irak an. Er meint auch die willkürliche Gewalt, mit denen das Militär gegen all jene vorgeht, die es der Unterstützung der Terrororganisation "Islamischer Staat" verdächtigt.

Im Unterschied zum Irak verläuft der Graben im Sinai aber nicht entlang konfessioneller Linien. Vielmehr trennt er den Großteil der ägyptischen Mehrheitsgesellschaft von den Beduinen, die in dem Gebiet traditionell siedeln. "Der Staat ist der Ansicht, dass es besser um den Sinai stünde, wenn es dort keine Beduinen gäbe", schreibt der aus einer Beduinenfamilie stammende ägyptische Bürgerrechtler Abu Fajr auf seiner Facebook-Seite. "Für diese heißt das, dass sie all ihrer Rechte beraubt werden."

Werbung mit Enthauptungsvideos

Diese Politik spielt den Islamisten, vor allem deren bekanntester Gruppe "Ansar Bait al-Makdis" ("Unterstützer Jerusalems"), in die Hände. Sie hatte in den vergangenen Monaten zahlreiche neue Kämpfer rekrutieren können. Doch weil das ägyptische Militär seit dem Spätsommer 2013 massiv gegen die Terroristen vorging, war die Gruppe gezwungen, sich in unzugänglichen Gegenden der Halbinsel zurückzuziehen.

Beduinen auf dem nördlichen Sinai, 17.12. 2013 (Foto: DW)
Karges Leben: Beduinen auf dem nördlichen SinaiBild: DW/A. Wael

Auch darum stellte die Gruppe Anfang August dieses Jahres ein Video ins Netz, das die Enthauptung von vier Ägyptern zeigt. Die Terroristen beschuldigten sie, das israelische Militär mit Informationen versorgt zu haben. Mit Bildern dieser Art hofft die Gruppe neue Mitglieder zu rekrutieren. Anfang Oktober veröffentlichte sie ein weiteres Video. Es zeigt die Sprengung eines Hauses. Dessen Besitzer, ein angesehener Stammesführer, soll mit dem ägyptischen Militär zusammengearbeitet haben. Immer wieder soll es auch zu Folter gekommen sein.

Die Bevölkerung auf dem Sinai wird daher von zwei Seiten in die Zange genommen, den Terroristen ebenso wie den Militärs. Beide Gruppen setzen vor allem auf Gewalt - und erzeugen weiteren Extremismus.