Datingshows: Der Voyeurist in uns
17. März 2020"Ich hasse diese Frau, wann fliegt sie endlich raus?"
"Heute muss er merken, dass sie ihm nur was vorspielt."
"Aber der sieht echt gut aus, den würde ich auch daten."
Typische Aussagen von meinen Freundinnen und mir, wenn wir uns einmal die Woche zusammensetzen und unser sündiges Verlangen nach diversen Datingshows stillen.
Was uns antreibt, ist eine Mischung aus Faszination und Fremdscham. Wir leiden mit den Kandidaten mit, wir lachen sie aus und obwohl wir uns so oft vornehmen, mit den Datingshows Schluss zu machen, schalten wir immer wieder ein. Aber warum eigentlich?
Sich besser fühlen als andere
"Das Privatleben eines Anderen ist sehr interessant für uns, vor allem intime Informationen über Liebe und Beziehung. Es erzeugt Spannung, wenn wir über andere sprechen. Außerdem messen wir die eigenen Erfahrungen daran", sagt der Medienpsychologe Jo Groebel.
Diese Form von Voyeurismus lässt sich auf das Interesse an Dating-Formaten übertragen. Das bestätigt auch Paartherapeut und Single-Coach Eric Hegmann: "Nichts ist spannender für uns als andere Menschen, und Liebe ist sicher eines der schönsten Gefühle, die wir erleben dürfen. Diese Kombination ist für viele Menschen natürlich sehr reizvoll."
Neben unserer voyeuristischen Lust am "Grusel des Asozialen", wie Groebel es nennt, ist Schadenfreude ein weiterer Faktor. Die Kandidaten in den Shows werden abgewiesen und blamieren sich. "Dann sind wir froh, dass es uns nicht passiert ist und erheben uns damit über die anderen", sagt Groebel.
Na gut, ertappt. Ich bin schon oft schadenfroh dabei und halte mich für klüger als die Menschen auf dem Bildschirm. Aber ich schaue ja ohnehin nur voller Ironie zu. Also halb so schlimm.
Eine beliebte Schutzbehauptung, mit der ich nicht mehr so leicht davonkomme. "Das Kultige am Trash hat sich verselbstständigt. Da mittlerweile Leute aus allen Gesellschafts- und Bildungsschichten diese Formate konsumieren, würde ich vielen die Behauptung der Selbstironie absprechen", sagt Groebel.
Wichtig ist aber auch die soziale Komponente. Datingshows dienen der Gruppenorientierung. Wir sprechen mit Freunden oder Kollegen darüber und ordnen das Gesehene ein.
Dating-Shows auf allen Kanälen beliebt
Hohe Einschaltquoten im TV und bei Streamingdiensten wie Netflix bestätigen, dass meine Freundinnen und ich bei weitem nicht die Einzigen sind, die gerne anderen Leuten beim Verlieben, Streiten und Daten zusehen.
Das Format "Love is blind" war in mehreren Ländern direkt nach der Veröffentlichung auf Platz 1 der Netflix-Charts. Die Idee: Die Kandidaten lernen sich in getrennten Kapseln kennen und dürfen sich erst sehen, wenn sie sich entschieden haben, dass sie einander heiraten wollen.
Auch das Netflix-Format "Dating Around", bei dem Singles an einem Abend mehrere erste Dates hintereinander haben, bekommt aufgrund des großen Erfolgs beim Publikum eine zweite Staffel.
Im linearen Fernsehen sind Datingshows ebenfalls beliebt. "Der Bachelor" sucht in in den USA seit 2002 Staffel für Staffel seine Traumfrau – in Deutschland seit 2003. Die Einschaltquoten für die aktuelle US-amerikanische Bachelor-Staffel lagen laut dem Fernsehsender ABC bei knapp 7,7 Millionen Zuschauer pro Folge.
Das Spiel mit den Emotionen
Die Autoren der Formate wissen ganz genau, wie sie die vermeintliche Realität inszenieren müssen, um das Interesse des Zuschauers aufrechtzuerhalten.
"Die Zuspitzung und das Drama erheben die bis dahin unbekannte Person", erklärt Medienpsychologe Groebel.
Wenn meine Freundinnen und ich uns also über den Macho, das Blondchen oder die Unschuldige aufregen, fallen wir auf genau dieses Kalkül der Serien-Macher rein – obwohl wir es eigentlich besser wissen.
Einseitige Interaktion
Solche Emotionen ermöglichen parasoziale Interaktion: Der Zuschauer identifiziert sich mit einer Person aus der Show und interagiert mit dieser, obwohl sie eigentlich nicht erreichbar ist. Die Interaktion bleibt dabei zwar einseitig, ruft aber beim Zuschauer die Illusion von wechselseitiger Interaktion hervor – zum Beispiel durch Social Media Kanäle.
Eineamerikanische Studie aus dem Jahr 2012 zeigte, dass die Befragten ihre Idole vor allem aus Bewunderung online verfolgten, aber auch, um sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen.
Das schafft aber nicht nur eine Fan-Basis, sondern auch Feindbilder. "Sie können eine Kandidatin gar nicht leiden und hoffen, dass die blöde Bitch bald rausfliegt. Aber trotzdem schätzen Sie sie auch", formuliert es Groebel überspitzt.
Denn eine Fülle dieser Formate zeigt: Die Bitches und Idioten bleiben fast immer bis zum Schluss, weil die Zuschauer sich an diesen Charakteren am meisten reiben können.
Kritiker von Dating-Shows vertreten die Meinung, dass sich bei übermäßigem Konsum das Weltbild zu Beziehungen, Liebe und Partnerschaft negativ verändern kann.
Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass Menschen, die regelmäßig Reality-TV konsumieren, davon überzeugt sind, dass mehr Menschen eine außereheliche Beziehung haben und sich scheiden lassen als es wirklich der Fall ist.
Ein idealisiertes Bild von Liebe
Paartherapeut Hegmann warnt außerdem vor der "Disneyfizierung" von Liebe, wie er es nennt. "Gescriptete Liebesbeziehungen, sei es aus Filmen, Serien oder sozialen Medien, beeinflussen Singles und Paare immer stärker in ihren Vorstellungen, wie der perfekte Partner und die ideale Beziehung aussehen sollen", sagt er.
Eine Studie des Dating-Portals Elite Partner aus dem Jahr 2019 bestätigt das. Von den knapp 4000 Befragten, wünschen sich 38 Prozent der Singles eine Beziehung, die so schön wie im Film ist. Das liegt laut der Studie vor allem daran, dass es im direkten Umfeld der Singles zu wenig positive Beispiele für glückliche Beziehungen gibt.
Der Sexualtherapeut Roland Michna sieht noch eine weitere Gefahr in den Datingshows. "Diese Formate sind absolut realitätsfern. Die Umstände, unter denen sich die Menschen dort kennenlernen, sind der sichere Weg in eine nicht funktionierende Beziehung", so Michna. Außerdem seien die Formate immer noch sehr heteronormativ und würden kaum die Lebensrealität abbilden.
Dass Menschen, die regelmäßig Dating-Shows und romantische Filme schauen, die Realität anders wahrnehmen, zeigt eine Studie der Universität Michigan. Die Befragten vertraten die Meinung, dass "Liebe immer einen Weg findet" und glaubten an die große Liebe.
So spielen die Datingshows mit der Elektrizität des ersten sexuellen Kontakts. Es wird geflirtet , die Hormone kochen über, wir fiebern mit, ob es zum Kuss oder Sex zwischen den Teilnehmern kommt. "Was diese Formate aber völlig außer Acht lassen, ist, dass diese Spannung im Alltag nachlässt. Wer in einer Beziehung ist, weiß, dass es auf andere Attribute ankommt", sagt der Sexualtherapeut.
Na gut, in mir steckt also eine kleine Voyeuristin und ich schaue Bachelor und Co. mit wesentlich weniger Ironie als ich es mir selbst eingestehen möchte. Aber mich von meiner großen Liebe, den Datingshows, zu trennen, bringe ich nicht übers Herz – dafür macht es zu viel Spaß!