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Ägypten, die Justiz und die Fiktion

Kersten Knipp16. Mai 2016

Der ägyptische Autor Ahmed Naji ist wegen einiger erotischer Textpassagen in einem seiner Romane zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Nun ehrt ihn der amerikanische PEN mit dem Preis "Freedom to Write".

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Ahmed Naji (Foto: picture-alliance/dpa/Y.H. El Din)
Bild: picture-alliance/dpa/Y.H. El Din

Nein, die Lektüre war ihm nicht gut bekommen. Herzrasen, Blutdruck und Augenzucken - das waren die Symptome, die einige Passagen des Romans bei ihm verursacht hatten. Darum hatte der Leser von Ahmed Najis Roman "Gebrauchsanweisung für das Leben" Klage gegen den Autor eingereicht. Gleich vier Staatsanwälte machten sich an die Arbeit. Im Februar wurde Ahmed Naji zu zwei Jahren Haft verurteilt. Der Straftatbestand: "Verletzung des Anstandsgefühls". In den entsprechenden Textstellen ging es um Sex und Haschischgenuss.

In dieser Woche fanden weltweit Lesungen für Ahmed Naji statt. Die Initiatoren, unter anderem Nancy Okial, Geschäftsführerin des "Tahrir Institute for Middle East Policy" (TIMEP) in Washington, fordern die Freilassung des Autors.

Am Pfingstmontag nun ehrt ihn der amerikanische PEN-Club mit dem Preis "Freedom to Write", den sein Bruder in New York entgegennehmen wird. "Die Verurteilung von Naji ist ein Zeichen für die zutiefst beunruhigende Unterdrückung des freien Wortes durch die ägyptische Regierung“, heißt es in einem Protestschreiben von 120 internationalen Künstlern an Präsident Al-Sisi, darunter die Schriftsteller Dave Eggers und Philip Roth, die Musikerin Patti Smith und der Filmemacher Woody Allen.

Kurz vor seiner Verurteilung im Dezember 2015 hatte Ahmed Naji der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben. Darin hatte Naji auf den fiktiven Charakter seines Werkes hingewiesen. Er berichte nicht von realen Ereignissen, sondern inszeniere eine imaginäre Sphäre. "Die Staatsanwaltschaft versteht nicht, dass das ein Roman mit fiktiven Figuren ist. Sie behandeln es als Tatsachenbericht."

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi (Foto: KHALED DESOUKI/AFP/Getty Images)
Freund einheitlicher Meinungen: Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-SisiBild: Getty Images/Afp/K. Desouki

"Ein Künstler und Intellektueller"

Ahmed Naji hat auch gute Beziehungen zur Deutschen Welle. Zur Zeit der arabischen Proteste im Jahr 2011 hatte er zunächst mehrere Wochen in der arabischen Redaktion der DW hospitiert. Anschließend war er freier DW-Autor in Kairo. "Ich habe Ahmed als Künstler und Intellektuellen in Erinnerung", sagt Rainer Sollich, stellvertretender Leiter der arabischen Redaktion. "Ahmed Naji war damals voller Hoffnung. Er war sicher, dass er in eine bessere Zukunft gehen, das Land freier und demokratisch werden würde. Dass dann die Muslimbrüder unter Mohammed Mursi die Regierung übernahmen, hat ihn sehr enttäuscht."

Naji, berichtet Rainer Sollich, habe sich mit den Mitteln der Kunst für die Freiheit engagiert. "Dass er jetzt ausgerechnet unter dem Nachfolgerregime verurteilt wurde, das ja eigentlich angetreten war, um solche Freiheiten wieder zu ermöglichen, ist besonders tragisch und traurig."

"Druck auf die Medien"

Das harte Urteil passt zu dem Kurs, den Ägypten unter der Regierung Al-Sisi gegen Journalisten eingeschlagen hat. "Die Behörden nahmen Regierungskritiker und Andersdenkende ins Visier", schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Länderbericht 2015. "Medienschaffende, die Menschenrechtsverletzungen dokumentierten oder die Darstellung der Behörden in Frage stellten, riskierten Festnahmen und strafrechtliche Verfolgung. Den Journalisten, die über Aktionen der Streitkräfte berichteten, drohten unfaire Verfahren vor Militärgerichten."

Das Urteil sei vor dem Hintergrund eines generellen Drucks auf die Medien gefallen, hatte Mai al-Sadany vom in Washington ansässigen Tahrir Institute for Middle East Policy kurz nach dessen Verkündung erklärt. "Akademiker wurden an Flughäfen festgenommen, Cartoonisten wegen ihrer Arbeiten drangsaliert, Medienhäuser gestürmt."

Journalisten demonstrierten vor dem Gebäude der Mediengewerkschaft in Kairo, 04.04.2014 (Foto: MAHMOUD KHALED/AFP/Getty Images))
Mehr Freiheit, bitte: Journalisten demonstrierten vor dem Gebäude der Mediengewerkschaft in KairoBild: AFP/Getty Images

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (RoG) befinden sich derzeit 23 Journalisten in Haft. Im jüngsten des von RoG jährlich herausgegebenen Rankings zur Pressefreit belegt Ägypten derzeit Rang 158 - von 180 Plätzen insgesamt. Wie er sich die Aufgabe der Presse vorstellt, hatte Präsident Al-Sisi bereits im Oktober vergangenen Jahres zu erkennen gegeben. "Die Medien und der Staat sollten nicht verschiedener Meinung sein", hatte er damals erklärt. "Sehen wir, dass wir nicht verschiedener Meinung sind."

Erfolgsdruck auf Regierung steigt

Abweichende Meinungen kann die Regierung nicht brauchen in einer Zeit, in der ökonomische Erfolge ausbleiben. "Die Perspektiven für die ägyptische Wirtschaftsentwicklung trüben sich ein", schreibt Germany Trade & Invest, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, im Mai 2016. "Sowohl das wachsende Haushaltsdefizit als auch die stark negative Handelsbilanz geben Anlass zur Sorge. Die Währungsabwertung und die Einführung der geplanten Mehrwertsteuer dürften der Inflation Auftrieb geben." Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei knapp 13 Prozent.

Vor diesem Hintergrund könnte sich auch der Umstand erklären, dass vier Staatsanwälte an dem Prozess beteiligt waren. "Normalerweise ist es einer", hatte Naji im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt. "Aber sie wussten wohl, dass viele Journalisten kommen würden, und nutzten die Gelegenheit, um sich als Hüter der öffentlichen Moral zu inszenieren." Wo ökonomische Erfolge ausbleiben, legt die Einschätzung nahe, muss der Staat zumindest symbolische Erfolge präsentieren – etwa, indem er die Ägypter davor bewahrt, dass ihr Anstandsgefühl verletzt wird. Eben das hatte das Gericht Naji vorgeworfen. Offen ist allerdings, wer definiert, was unter diesem Anstandsgefühl zu verstehen ist.

Stadtansicht von Kairo (Foto: Getty Images/M.El-Shahed)
"Eine dreckige, heruntergekommene Stadt": Blick auf KairoBild: Getty Images/M.El-Shahed

Möglich ist aber auch, dass der Roman wegen seiner ungeschminkten Darstellung des ägyptischen Alltags in Ungnade fiel. Der Roman habe zwei Hauptfiguren, sagt die Übersetzerin Elisabetta Ross, die ihn aus dem Arabischen ins Englische übersetzt hat. Die eine Hauptfigur sei Kairo. Die andere ist Bassam, ein junger Ägypter. "Er führt ein frustrierendes Leben in einer Metropole, in der es ihm unmöglich ist, zu lächeln oder sich auszudrücken. Alles ist schwierig in der dreckigen, heruntergekommenen Stadt."