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Keine Antworten auf die Armut

Markus Symank, Kairo26. Mai 2014

Seit der landesweiten Revolution werden immer mehr Ägypter durch Arbeitslosigkeit und hohe Preise in die Armut gedrängt. Doch im Präsidentschaftswahlkampf wurde das Thema weitgehend ignoriert.

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Obdachloser in Kairo
Bild: picture-alliance/dpa

Das Lammfleisch, dessen würziger Geruch die kleine Wohnung im Süden Kairos füllt, können sich Mohammed und seine Frau Walaa eigentlich nicht leisten. Ebenso wenig die großen Schüsseln Reis, die Kartoffelchips und die ausländische Limonade. Umgerechnet etwa fünf Euro verdient Mohammed an einem guten Tag. Für das auf einer Decke auf dem Fußboden ausgebreitete Essen hat der junge Familienvater deutlich mehr zahlen müssen. Die ägyptische Gastfreundschaft gebietet es so.

Mohammed und Walaa sind Feinschmecker und haben beide mehrere Jahre als Köche gearbeitet. Doch derzeit ernähren sie sich hauptsächlich von Brot und Gemüse, wie Walaa erzählt: "Ich bin wütend, weil uns die hohen Preise erdrücken. Alles ist so teuer geworden: Die Miete, der Strom, das Wasser, Milch und Medikamente." Letztere benötigt das Ehepaar für seine zehn Monate alte Tochter, die zu früh zur Welt kam und nun besondere Pflege braucht. Die weitere Familienplanung ist durch die zusätzlichen Kosten auf Eis gelegt worden.

Das junge Kairoer Ehepaar Mohammed und Walaa mit ihrer Tochter
Mohammed und Walaa leben mit ihrer Tochter in einer kleinen WohnungBild: DW/M. Symank

Mittelschicht im Niedergang

Die junge Kairoer Familie ist kein Einzelfall. Die ägyptische Mittelschicht, der die beiden Mittzwanziger angehören, schrumpft seit Jahren, während gleichzeitig die Masse der Armen immer schneller wächst. In den letzten zehn Regierungsjahren Husni Mubaraks stieg der Prozentsatz der Ägypter, die unter der offiziellen Armutsgrenze leben, von 17 auf 25 Prozent. Seit dem Sturz des Alleinherrschers und dem darauf folgenden politischen Chaos hat sich diese Entwicklung noch beschleunigt - und Mohammed fürchtet, dass er seine Familie bald nicht mehr ernähren kann.

Mehrfach hat er seit der Revolution in der Hoffnung auf ein höheres Einkommen den Job gewechselt, arbeitete als Kellner, Türsteher, Mechaniker und Straßenverkäufer. Auf eine Festanstellung mache er sich wegen der hohen Arbeitslosigkeit von offiziell mehr als 13 Prozent keine Hoffnungen. Doch anstelle seines Einkommens seien nur die Alltagskosten gestiegen. Als Beispiel nennt er die Elektrizität: Vor einigen Jahren zahlte er noch umgerechnet einen halben Euro pro Monat für Strom. Nun sind es bis zu acht Euro.

Oman Ägypten Wahlen Präsidentschaftswahl im Ausland Wahlurne
Die Ägypter wählen am 26. und 27. Mai einen neuen PräsidentenBild: Mohammed Mahjoub/AFP/Getty Images

Die Schuld für die hohe Inflation sieht Mohammed einerseits bei der korrupten Regierung, der das Volk egal sei. Andererseits aber auch bei den Großhändlern, welche die Preise aus Profitgier anheben würden: "Diese Leute müssten bestraft werden, da sie das Gesetz brechen. Sie sorgen für eine künstliche Preiserhöhung und nutzen die Armen aus."

Abhängig vom Import

Die ägyptische Wirtschaftsexpertin Hoda Selim sieht in den schnell steigenden Preisen einen Hauptgrund für die wachsende Armut im Land am Nil. Derzeit liegt die jährliche Inflation offiziellen Angaben zufolge bei 10,2 Prozent, insbesondere bei Lebensmitteln liegt der reale Wert aber deutlich darüber. Die Mitarbeiterin des Economic Research Forums in Kairo schätzt, dass die durchschnittliche ägyptische Familie mittlerweile drei Viertel ihres Einkommens für Essen aufwenden muss. "Die hohe Inflationsrate hat viele Gründe: In vielen Märkten gibt es zu wenig Wettbewerb. Es existieren auch keine Institutionen, welche die Märkte regulieren. So arbeitet die ägyptische Verbraucherschutzzentrale beispielsweise nicht effektiv", erklärt Hoda Selim.

Doch auch mit einer besseren Gesetzgebung dürfte dem Problem mittelfristig nur schwer beizukommen sein. Im Altertum als die Kornkammer des Mittelmeers bekannt, ist Ägypten längst der weltweit größte Weizenimporteur. Überhaupt bezieht das Land einen Großteil seiner Grundnahrungsmittel aus dem Ausland, was es besonders anfällig für globale Preisschwankungen macht.

"Wir sind am Limit"

Während die steigenden Preise die Alltagsgespräche vieler Ägypter dominieren, spielt das Thema im Präsidentschaftswahlkampf kaum eine Rolle. Der ehemalige Armeechef Abdel Fattah al-Sisi, der als haushoher Favorit für die Abstimmung kommende Woche gilt, hält sich im Blick auf mögliche Wirtschaftsreformen bedeckt. Sein einziger Herausforderer, der linke Politiker Hamdien Sabahi, will zwar den Kampf gegen Korruption, Armut und Arbeitslosigkeit aufnehmen. Ein ausgefeiltes ökonomisches Programm hat aber auch er nicht vorgelegt. Hoda Selim sagt dazu: "Wie schon in den vorherigen Präsidentschaftswahlen spielt das Thema Wirtschaft nur eine untergeordnete Rolle. Niemand spricht jemals über Inflation, niemand geht auf die chronischen Probleme Ägyptens ein."

Fattah al-Sisi
Haushoher Favorit bei der Präsidentschaftswahl ist Abdel Fatah al-SisiBild: Reuters

Präsidentschaftskandidat Al-Sisi hat angedeutet, im Falle eines Wahlsieges Subventionen stückweise zu streichen. Fast 15 Milliarden Euro - ein Viertel des jährlichen Staatsbudgets - wendet Ägypten für Zuschüsse im Energie- und Nahrungsmittelsektor auf. Diese könnten nach der Wahl nun stark reduziert und die Inflation dadurch kurzfristig weiter angehoben werden. Wirtschaftsexpertin Hoda Selim glaubt, dass Al-Sisi angesichts seiner großen Popularität im Volk einen solchen Schritt wagen könnte. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Regierung das zusätzliche Geld in Projekte investiert, die den ärmsten Ägyptern zugutekommen.

Familienvater Mohammed warnt, dass die Schmerzgrenze bereits erreicht sei: "Das ganze Volk muss bereits jetzt schon Geld leihen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Noch mehr ertragen die Leute nicht. Wir sind am äußersten Limit angelangt." Sollten die Preise weiterhin unkontrolliert steigen, drohe eine Hungerrevolution.