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Unsichere Straßen

Victoria Kleber2. August 2012

Seit keine Sicherheitskräfte in Ägypten mehr auf der Straße sind, nehmen sexuelle Übergriffe zu. Vor allem Demonstrantinnen werden belästigt. Sie glauben, dass die Angriffe politisch motiviert sind.

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Nihal Saad Zaghloul demonstriert mit einem transparent gegen sexuelle Belästigung; (Foto: Mohammed Al Bedawi)
Sexuelle Belästigung in ÄgyptenBild: Mohammed Al Bedawi

Wenn Nihal Saad Zaghloul schläft, trifft sie die Männer manchmal wieder. Die Männer, die sie auf dem Tahrir-Platz sexuell belästigten. Dann stehen sie vor ihr, greifen nach ihr, betatschen sie, bis Nihal wieder aufwacht. Es war ein Freitag, Ende Juni, als Nihal wie so oft mit ihren Freunden auf den Tahrir-Platz zum demonstrieren ging. Ein Tag, der Nihal nicht mehr los lässt. "Ich wurde von meinen Freunden getrennt, Männer zogen mir mein Kopftuch herunter, begrapschten mich", sagt Nihal. "Es waren mehr als 15 Männer. Ihre Hände waren überall."

Doch Nihal hatte Glück. Demonstranten eilten ihr zur Hilfe, zogen sie aus der Männermenge. Diejenigen, die nicht befreit werden, berichten von Schlimmerem. Davon, wie Männer ihnen die Kleider vom Körper reissen, bis sie nackt sind. Davon, wie sie sie am ganzen Leib befingert, vereinzelt gar vergewaltigt werden.

Angriffe politisch motiviert?

Wenn Kairos Innenstadt zur Demonstrationszone wird, dann sind seit ein paar Wochen auch diese Männer auf dem Tahrir-Platz. Doch wer sie sind, weiß keiner so genau. Sie treten meist am gleichen Ort auf, sind in Gruppen von bis zu 30 Leuten organisiert. Sally Zohney vom UNO-Frauenprogramm ist sich sicher, dass ein Teil der Männer angeheuert ist, um Frauen vom Protestieren abzuhalten. "Die Art der Belästigung beim Demonstrieren ist anders als die alltägliche Belästigung auf der Straße", sagt Zohney. "Sie ist vulgärer, zielt auf Ehre und Stolz. Der Willen der Frauen soll gebrochen werden."

Auch im Alltag nimmt Belästigung zu

Ein Porträtaufnahme von Sally Zohney (Foto: Privat)
Sally Zohney kämpft für die Rechte von FrauenBild: privat

Aber nicht alle Angreifer sind möglicherweise politisch motiviert. Viele Männer sind einfach nur Mitläufer, die die Anonymität großer Menschenmassen zu sexuellen Übegriffen nutzen. Doch nicht nur bei Demonstrationen, auch in alltäglichen Situationen nehmen die Misshandlungen zu, werden extremer. Kaum eine Frau kann derzeit in die Innenstadt Kairo gehen, ohne belästigt zu werden. Nach einer Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte wurden bereits 2006 über 80 Prozent der ägyptischen Frauen täglich sexuell gepeinigt. Rund die Hälfte der Männer gab damals zu, Frauen zu belästigen.

Sally Zohney von der UNO Frauenorganisation glaubt, dass die Zahl heute deutlich höher ist. Denn seit der Revolution sind die Sicherheitskräfte von den Straßen Ägyptens verschwunden. Niemand zieht die Täter zur Rechenschaft. "Auch wenn ein Polizist da ist", sagt Zohney, "unternimmt dieser nichts. Die Täter wissen, dass sie niemals bestraft werden."

Auch Verschleierung hilft nicht

Eine Übersicht über den Tahrir Platz mit einer großen Menschenmenge (Foto: REUTERS)
Viele Frauen werden in den Menschenmengen auf dem Tahrir-Platz angegriffenBild: Reuters

Meist wird den Frauen selbst die Schuld am Fehlverhalten der Männer gegeben. In dieser männerdominierten Kultur werden so aus Opfern Täter gemacht. Auch Mubarak propagierte, dass Frauen sich verschleiern sollten, um sexuelle Übergriffe zu verhindern. Doch tatsächlich schützt auch Verschleierung nicht vor Mißbrauch. Laut der Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte werden unverschleierte und verschleierte Frauen gleichermaßen belästigt.

Viele Frauen haben genug, fordern ihre Rechte ein. Es sind vor allem die jungen Ägypterinnen, die für mehr Bewusstsein in der Öffentlichkeit und einen Wandel der Gesellschaft kämpfen. Auf dem Blog Harassmap.org, der dieses Jahr mit dem Deutsche Welle Blog Award “The BOBs“ ausgezeichnet wurde, melden Frauen, wann und wo sie belästigt wurden. Mit Demonstrationen und Kampagnen machen sie anderen Frauen Mut, sich zu wehren.

Screenshot der Seite harassmap.org, Gewinner der BOBs (Best Use of Technology for Social Good)
Ein Screenshot der Seite harassmap.orgBild: harassmap.org

Andere Frauenrechte bedroht

Doch es ist nicht nur sexuelle Belästigung die Frauen auf die Straße treibt. Andere hart erkämpfte Frauenrechte drohen abgeschafft zu werden. Im inzwischen aufgelösten Parlament, diskutierten Islamisten darüber, Frauen die Scheidung ganz zu verbieten, das Heiratsalter von achtzehn auf zwölf Jahre zu senken.

Es scheint ein langer Kampf für Ägyptens Frauen zu werden. Auch Nihal Saad Zaghloul kämpft ihn mit. "Ich wünsche mir nur, dass wir gleich behandelt werden“, sagt sie. “Wie Menschen eben. Und ich wünsche mir auch, dass keiner Frau das Gleiche wiederfährt, was mir passiert ist."