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"Südsudan droht Cholera-Ausbruch"

Theresa Krinninger22. Mai 2015

Im Südsudan toben heftige Kämpfe. Immer mehr Menschen seien von Gewalt, Hunger und Krankheiten bedroht, besonders rund um Leer im Bundesstaat Unity, sagt Johanna Van Peteghem von "Ärzte ohne Grenzen" im DW-Interview.

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Flüchtlinge im Südsudan (Foto: AFP)
Bild: AFP/Getty Images/T. Korumba

DW: Der Machtkampf im Südsudan ist erneut eskaliert. Was können Sie uns über die aktuelle Lage im hart umkämpften Norden des Landes sagen?

Johanna Van Peteghem: Besonders betroffen sind seit einigen Wochen die Bundesstaaten Unity, Jonglei und Upper Nile. In Malakal, der zweitgrößten Stadt im Südsudan, wurde vor einigen Tagen wieder heftig gekämpft. Es gab auch schwere Gefechte in Melut nördlich von Malakal.

Warum ausgerechnet jetzt diese neue Welle der Gewalt?

Die Gewalt ist ja schon vor mehr als einem Jahr ausgebrochen, Ende 2013, als es eine Oppositionsbewegung gegen die Regierung gab. Seitdem hat sich die Lage nicht beruhigt. Wir sehen zwar neue Dynamiken, aber der Machtkampf im Südsudan ist der alte geblieben.

Wie viele Zivilisten sind von den Kämpfen betroffen?

Viele Tausende. Nehmen wir zum Beispiel die Stadt Leer. Obwohl dort keine Mitarbeiter mehr von uns sind und die Informationen dürftig, wissen wir, dass fast alle der über 100.000 Einwohner aus der Stadt geflohen sind. Sie verstecken sich irgendwo draußen im Busch. Das gleiche gilt für Malakal mit 200.000 Einwohnern - die Stadt ist wie leergefegt.

Sie haben Leer im Bundesstaat Unity bereits erwähnt: Mehr als 200 der südsudanesischen Helfer von Ärzte ohne Grenzen mussten aus der Stadt fliehen. Haben Sie Kontakt zu ihnen?

Am Anfang ja, aber seit einigen Tagen haben wir nichts mehr von ihnen gehört. Wir hatten vereinbart, dass sie uns kontaktieren, so dass wir sie nicht in Gefahr bringen. Zu anderen südsudanesischen Kollegen, beispielsweise in Melut, haben wir Kontakt. Aber die Kommunikation ist sehr schwierig und wir hoffen, dass sich das in den nächsten Tagen ändert. Wir machen uns große Sorgen um die Kollegen, von denen wir bislang nicht wissen, wo sie sind.

In welchen Gebieten kommen Sie denn bei all den Kämpfen überhaupt noch an die Notleidenden heran?

Es wird immer schwieriger. Wir arbeiten je nach Ort unterschiedlich. In Malakal haben wir eine Krankenstation auf dem geschützten UN-Gelände. Dort sind auch immer noch nationale und internationale Mitarbeiter. Aber jetzt haben wir das Problem, dass wir keine Hilfsgüter mehr dorthin schicken können. Noch schlimmer ist es in Leer. Dort waren die Kämpfe so heftig, dass wir alle Helfer abziehen mussten. Dort haben wir absolut keinen Zugang mehr.

Was hören Sie von den Flüchtlingen, die sich zum Beispiel auf die Krankenstation in Bentiu, der Hauptstadt von Unity, retten konnten?

Die Menschen mussten viel durchmachen. Sie haben sehr lange gebraucht, um es überhaupt bis auf das Gelände der Vereinten Nationen zu schaffen. Sie waren seit Wochen im Busch unterwegs, ohne Essen, ohne Hilfe. Sie sind extrem verängstigt.

Flüchtlinge im Südsudan (Foto: AP)
Kein Schutz, kein Essen: Im Südsudan droht eine HungersnotBild: AFP/Getty Images/C. Lomodong

Die UN berichten von Massakern und einer gezielten Jagd auf Zivilisten durch die Rebellen. Stimmt das?

Wir sehen Zivilisten mit Schusswunden. Sogar die, die nach Melut in die UN-Versorgungszone gekommen sind, wurden leider nicht verschont. Sie wurden durch Kugeln verletzt, die von draußen kamen. Wir konzentrieren uns auf die Patienten und fragen nicht danach, wer wem was antut. Aber ja, wir sehen extremes Leid.

Erwarten Sie, dass die Lage in den nächsten Tagen noch weiter eskaliert?

Wir vermuten, dass der Konflikt so schnell nicht beigelegt wird und die Kämpfe weiter gehen. Wir hoffen, dass die Zivilisten verschont bleiben. Aber wir sind sehr besorgt, wegen der vielen Verletzten und der Flüchtlinge. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln wird immer schlechter. Jetzt beginnt eigentlich die Zeit, in der die Leute ihre Felder bestellen sollten. Aber das können sie nicht. Das heißt: Die Ernte bleibt aus. Und jetzt kommt auch noch die Regenzeit und wir wissen, dass Cholera eine große Gefahr in vielen Gegenden ist, auch in Upper Nile. Und wir können nicht genug Wasser und auch nicht genügend sanitäre Anlagen und Hilfen bereit stellen. Wir können also Cholera wahrscheinlich weder entsprechend vorbeugen noch behandeln.

Johanna Van Peteghem ist stellvertretende Programmleiterin bei Ärzte Ohne Grenzen in Nairobi. Mehr als 3500 Hilfskräfte ihrer Organisation versorgen derzeit die Zivilbevölkerung im Südsudan medizinisch und humanitär.

Der Südsudan ist seit 2011 unabhängig. Im Dezember 2013 war der lange schwelende Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem ehemaligen Stellvertreter Riek Machar eskaliert. Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien scheiterten bislang. Fast zwei Millionen Menschen sind nach UN-Angaben seit 2013 auf der Flucht.

Das Interview führte Theresa Krinninger.