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"Ärzte ohne Grenzen" verlässt Kundus

4. Oktober 2015

Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" zieht sich nach der Bombardierung ihres Krankenhauses aus Kundus zurück. Eine Sprecherin sagte, die Klinik sei unbenutzbar. US-Präsident Obama kündigte eine Untersuchung an.

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Die bombardierte Klinik in Kundus (Foto: Picture alliance/MSF)
Bild: picture-alliance/dpa/MSF

Nach dem mutmaßlichen US-Luftangriff auf ein Krankenhaus von "Ärzte ohne Grenzen" in der nordafghanischen Stadt Kundus zieht die Hilfsorganisation die Konsequenzen und stellt ihre Tätigkeit in der Stadt ein. Die Klinik sei "nicht mehr funktionsfähig", sagte eine Sprecherin. Dringend behandlungsbedürftige Patienten seien in andere Kliniken überstellt worden.

Bei dem Bombardement waren in der Nacht zum Samstag mindestens zwölf Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" und sieben Patienten getötet worden, darunter drei Kinder. 37 Menschen wurden schwer verletzt, darunter 19 Mitarbeiter. "Ärzte ohne Grenzen" arbeitet seit 1980 in Afghanistan, die Klinik in Kundus betreibt die Organisation seit rund fünf Jahren. 1999 wurde sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Liegt ein Kriegsverbrechen vor?

Die NATO erklärte, möglicherweise sei die Klinik bei einem Luftangriff der Militärallianz getroffen worden. In einer Erklärung war von einem möglichen "Kollateralschaden" die Rede. Die US-Streitkräfte räumten ein, einen Angriff in der Nähe der Klinik geflogen zu haben. Dieser habe Taliban-Kämpfern gegolten, die auf amerikanische Soldaten geschossen hätten. US-Präsident Barack Obama kündigte eine Untersuchung an und sprach den Opfern sein Beileid aus. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte den Angriff und forderte eine gründliche und unabhängige Untersuchung. Der UN-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein sagte, es handle sich möglicherweise um ein Kriegsverbrechen.

Am Sonntag wies "Ärzte ohne Grenzen" Vorwürfe zurück, Taliban-Kämpfer hätten aus der Klinik heraus auf afghanische Soldaten und US-Truppen geschossen. "Die Tore des Geländes waren nachts alle verschlossen, so dass zum Zeitpunkt des Angriffs außer Mitarbeitern und Patienten niemand in der Klinik war", erklärte die Organisation. Zudem sei jeder Patient, auch jeder verwundete Taliban-Kämpfer, nach dem humanitären Völkerrecht ein nicht-kämpfender Zivilist. "Eine Bombardierung eines voll funktionsfähigen Krankenhauses kann unter keinen Umständen gerechtfertigt werden."

Keine Taliban in der Klinik

Der Bruder eines getöteten Klinikwachmanns bestätigte gegenüber der Deutschen Welle, dass sich zum Zeitpunkt der Luftangriffe keine Talibankämpfer in dem Gebäude aufgehalten hätten. Die Aufständischen hätten ihre Verwundeten bereits eineinhalb Tage vorher in Sicherheit gebracht. Zuvor hatte das afghanische Verteidigungsministerium erklärt, die Taliban hätten die Klinik als "Schutzschild" missbraucht. Die Regierung in Kabul kündigte eine Untersuchung zusammen mit den Verbündeten an.

"Ärzte ohne Grenzen" unterstrich, die Luftangriffe seien eine schwere Verletzung internationalen Rechtes. Die Verluste könnten nicht als "Kollateralschaden" abgetan werden. Die GPS-Koordinaten des medizinischen Zentrums in Kundus seien "an alle beteiligten Konfliktparteien, Washington und Kabul eingeschlossen," weitergegeben worden. Dieses Vorgehen ist üblich, um zivile Einrichtungen zu schützen. Zudem habe das Klinikpersonal in Kundus militärische Stellen in Kabul und Washington noch während der Bombardierung telefonisch informiert. Dennoch sei das Hospital mehr als eine Stunde lang in Abständen von 15 Minuten bombardiert worden. Der Sprecher der Provinz Kundus, Abdul Wodud Wahidi, sagte der Deutschen Welle, die Luftangriffe seien nicht mit den lokalen Behörden abgestimmt worden. Er wisse nicht, ob dabei Talibankämpfer getötet worden seien.

Fürchterliche Szenen

Mitarbeiter der Hilfsorganisationen schilderten schreckliche Szenen, die sich in der Klinik abspielten. Sechs Patienten seien auf der Intensivstation hilflos in ihren Betten verbrannt, berichtete der ungarische Krankenpfleger Lajos Zoltan Jecs. Im Operationssaal habe er ein Patient tot auf dem Operationstisch liegen sehen, "inmitten der totalen Zerstörung". Jecs fand mit anderen Helfern noch einen schwer verletzten Arzt: "Wir führten eine Notfalloperation bei einem unserer Ärzte durch, doch leider verstarb er - auf einem unserer Bürotische."

Kundus war am Montag von den radikalislamischen Taliban erobert worden. Die Armee startete eine Gegenoffensive und meldete am Freitag die Rückeroberung der Stadt. Allerdings wurde auch am Samstag noch in den Straßen der strategisch wichtigen Stadt gekämpft. Seit Ende September bombardieren US-Kampfflugzeuge Stellungen der Taliban in und um Kundus.

kle/uh (epd, afp, rtr, dpa)