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Obergrenze für Flüchtlinge in Österreich

20. Januar 2016

Wien zieht die Notbremse. Wochenlang hieß es angesichts des anhaltenden Flüchtlingsandrangs: "So kann es nicht weitergehen." Doch jetzt beschloss die Regierung in Wien, den Zustrom von Flüchtlingen zu deckeln.

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Österreichs Bundeskanzler Faymann (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/APA/picturedesk.com/H. Fohringer

Ungeachtet rechtlicher Unklarheiten setzt Österreich mit einer Obergrenze für Asylbewerber ein politisches Signal zur Drosselung des Flüchtlingsandrangs. Die Regierungskoalition in Wien sowie die neun Ministerpräsidenten der Bundesländer vereinbarten, dass bis Mitte 2019 nur noch höchstens insgesamt 127.500 Asylbewerber ins Land kommen dürfen. Für das laufende Jahr sieht die Einigung noch 37.500 Flüchtlinge vor. Das wären rund 50.000 weniger als 2015.

Was geschehen soll, wenn die Obergrenze überschritten wird, ist noch offen. Dazu sollten zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben werden, kündigte die Regierungsspitze in Wien an. Diese sollen in wenigen Wochen vorliegen. Angedacht sind grenznahe "Wartezonen" für alle, die nach Erreichen der Obergrenze eintreffen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) geht davon, dass dies noch vor dem Sommer der Fall sein wird.

Faymann will EU aufrütteln

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), der sich lange gegen jede Art von Deckelung gewehrt hatte, bezeichnete die Vorgehensweise als "Notlösung" und "Plan B", der auch ein "Aufrütteln" der Europäischen Union bewirken solle. Zudem sei eine intensivere Grenzsicherung zu Slowenien nötig. "Wir müssen unsere Kontrollen an der Grenze massiv verstärken", sagte Faymann. Dazu sollen auch mehr Soldaten entsandt werden. Außerdem soll auch mit Hilfe Deutschlands die Überwachung bereits an der slowenisch-kroatischen Grenze verbessert werden.

"Die große Anzahl an Flüchtlingen überfordert unser System", sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Daher werde man auch im "Grenzmanagement" auf Kontrollen und Registrierungen setzen. Es würden möglicherweise auch Flüchtlinge zurückgewiesen. Das werde für all diejenigen gelten, die nicht kooperierten oder als Wirtschaftsflüchtlinge kein Asyl anstrebten, sagte Faymann.

Die Einigung sieht vor, dass die Obergrenze von Jahr zu Jahr abschmilzt. Die Maßnahme ist zeitlich begrenzt, weil die Hoffnung besteht, dass die sogenannten EU-Hotspots in Griechenland und Italien spätestens 2019 voll funktionsfähig sind und die Registrierung der Ankommenden übernehmen können.

Juristische Einwände

Die Wiener Entscheidung stößt bereits auf rechtlichen Bedenken. So sagte der Völkerrechtler Manfred Nowak von der Universität Wien, die Obergrenze sei nur eine "politische Zielvorgabe". "Völkerrechtlich ist eine Asylobergrenze nicht durchführbar." Kritiker halten den Schritt ohnehin nicht für zielführend. Er spiele nur den Schleppern in die Hände, hieß es von der Caritas.

Eine Obergrenze für Flüchtlinge sei "falsch und rechtlich fragwürdig", sagte auch Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Eine Schließung der österreichischen Grenze werde zu einem "Dominoeffekt" führen, warnte er. "Wir werden ein Europa der Zäune erleben, in dem jeder die Verantwortung an den Nachbarn abschiebt."

Gemischte Reaktionen

Die Ankündigung aus Wien rief in der deutschen Politik gemischte Reaktionen hervor. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte, es sei nun umso dringlicher, "endlich für sichere Außengrenzen zu sorgen". An die Adresse von Kanzlerin Angela Merkel setzte er hinzu, das müsse bald passieren: "Sonst zerbricht Europa." Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach forderte die Bundesregierung zu einem Kurswechsel auf. Die österreichische Obergrenze solle "dazu beitragen, dass wir auch bei uns die Dinge nüchterner sehen." Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, begrüßte den Schritt Österreichs als "deutlichen Fingerzeig, dass auch wir nicht mehr so weiter machen können wie bisher".

Grünen-Parteichefin Simone Peter nannte die Entscheidung Österreichs einen "Ausdruck von Mut- und Ratlosigkeit". Abstrakte Obergrenzen könnten keine realen Probleme lösen, sagte Peter. Deutschland dürfe sich diesen "fatalen Schwenk" nicht zum Vorbild nehmen.

Der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben, warnte vor wirtschaftlichen Verlusten in Milliardenhöhe, die sich durch eine Logik der Grenzschließung ergeben könnten.

kle/sti (dpa, afp, rtr, epd)