Über Hass und Liebe
1. März 2021James Baldwin war ein amerikanischer Autor von Weltrang. Doch hatte er zwei Eigenschaften, die es ihm schwer machten, in Amerika zu leben, so schwer, dass er 1948 in Frankreich Schutz suchte und dort seine Wahlheimat fand. Diese Eigenschaften waren seine Hautfarbe, er war schwarz, und seine sexuelle Orientierung, er war schwul. Eines hätte genügt, um ihn unbeliebt zu machen; beides zusammen war ein schweres Handicap, denn Amerika war weithin rassistisch und homophob eingestellt. So war er der Ablehnung, der Verachtung und dem Hass seiner amerikanischen Landsleute ausgesetzt, und dies umso mehr, als er in seinen Romanen schonungslos die morbide innere Verfassung seiner Heimat aufdeckte und geißelte. Durch den Hass, den er erlebte, kam er zu einer Einsicht, die selbstverständlich nicht nur für seine Zeitgenossen in Amerika gilt; sie ist überall von Bedeutung. Er schrieb: „Ich vermute, einer der Gründe, weswegen Menschen so hartnäckig an ihrem Hass festhalten, ist, weil sie spüren: Ist der Hass erstmal fort, werden sie gezwungen sein, sich mit Schmerz zu beschäftigen.“ Der Hass findet in unseren Zeiten eine Verbreitung wie wohl lange nicht mehr. In den digitalen Medien werden zum Beispiel politische Mandatsträger mit einer Welle von Hassbotschaften und sogar Todesdrohungen überzogen. Die empörenden Bilder von der Erstürmung des Kapitols ließen den Fernsehzuschauer unmittelbar in das wutentbrannte Gesicht des Hasses blicken. Es fällt schwer zu anzunehmen, dass hinter dem Hass der Agitatoren und Post-Schreiber der Schmerz steht. Und doch glaube ich, dass James Baldwin weithin recht hat. Wohl kaum ein Mensch hasst von Natur aus. Oft, so meine ich, steckt hinter dem Hass eine seelische Verletzung. Man will, man kann sie nicht spüren oder zulassen. Vielleicht hat man sie früh erfahren, in der Kindheit oder auch später im Zusammensein mit anderen Menschen. Wie schnell kann man Übervorteilung, Verachtung und Demütigung erleben. Und man kann sich nicht dagegen wehren; was man auch tut, man verstrickt sich umso mehr in dem Netz von Ablehnung und Missachtung. Das tut weh. Wer das nicht spüren will und deshalb hasst, braucht sich mit seinem Schmerz nicht mehr auseinander zu setzen. Der Hass ist das Ventil, aus dem die aufgepeitschten Emotionen herausschießen können. Wen es dann trifft, ist letzten Endes gar nicht so wichtig; Hauptsache, der emotionale Druck ist weg. Das heißt aber auch, dass Hass mit Argumenten nicht zu besiegen ist. Eine Emotion kann nicht durch Rationalität besänftig werden, sondern nur durch andere Emotionen. Wer Hass lindern will, muss den Schmerz benennen und dadurch vielleicht heilen. Zum Beispiel kann in einem Gespräch zur Sprache kommen, was den Hass verursacht hat. Schon das Aussprechen bringt oft eine Linderung mit sich. Aber das reicht wohl nicht immer. Wenn es überhaupt gelingen soll, und es gelingt durchaus nicht immer, dann durch die Erfahrung vorbehaltloser Liebe. Wer spürt und weiß, er wird geliebt, braucht keinen Hass mehr. Im besten Fall wird er selbst einer, der lieben kann. Das ist mit ein Grund, warum Jesus Christus seinen Jüngern sagt: „Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.“ Das allerdings kann nur dann gelingen, wenn man selbst verwurzelt ist in einer Liebe, die größer ist als die unter Menschen. Für Jesus war es ganz eindeutig die Liebe Gottes, die zu einem solchen Verhalten führen kann. Diese Liebe besagt: Du bist angenommen mit deinen Fehlern und Schwächen, nichts kann die Liebe Gottes zu dir zerstören. Oft lebt jemand in dieser Liebe, ohne an Gott zu glauben oder auch nur von ihm zu wissen. Dann ist Gott sozusagen inkognito durch einen liebenden Menschen zu ihm gekommen – sicher auch zu einem Hasserfüllten. Oft erfährt auch jemand diese Liebe, ohne an Gott zu glauben oder auch nur von ihm zu wissen. Dann kommt Gott sozusagen inkognito durch einen liebenden Menschen zu ihm – sicher zuweilen auch zu einem Hasserfüllten.
Diederich Lüken