Kommentar: Sag Nein, Sigmar!
4 de diciembre de 2016Lieber Sigmar Gabriel,
eigentlich ist dieser Brief inzwischen gegenstandlos. Denn die Sache mit der Kanzlerkandidatur der Sozialdemokraten soll ja bereits entschieden sein. Sagt zumindest ihre Parteifreundin Hannelore Kraft. Nur wer den Job macht, das sagt sie nicht. So ist sie, die SPD: immer wieder rätselhaft.
Ich habe noch nie in meinem Leben SPD gewählt. Trotzdem schreibe ich Ihnen. Weil ja auch die Kanzlerkandidatur von Angela Merkel in erster Linie von Menschen gefordert und bejubelt wurde, die noch niemals für die CDU gestimmt haben. In der Union selbst ist es demgegenüber ja merkwürdig still. Außer in der kommenden Woche natürlich: Da werden wir beim Parteitag in Essen wieder einen mindestens zehnminütigen Klatschmarathon erleben. Aber dass Funktionäre und Mitglieder einer Partei oftmals sehr unterschiedlich denken - wer weiß das besser als Sie, der SPD-Vorsitzende?
Warum ein Kanzlerkandidat der SPD?
Die SPD braucht also einen Kanzlerkandidaten. Warum eigentlich? Das Grundgesetz sieht eine solche Position nicht vor. Es handelt sich vielmehr um eine Erfindung ihrer SPD aus dem Jahr 1961, als Willy Brandt erstmals Kanzler werden wollte. Und inzwischen betrachten die Deutschen einen Kanzlerkandidaten als Gewohnheitsrecht. Ein klassisches Eigentor also, wenn nun ausgerechnet die von Ihnen geführte SPD regelmäßig daran scheitert, den Kandidaten in geordneten Bahnen auszuwählen und zu präsentieren. Und der gesamte Parteivorstand bis dahin einfach mal den Mund hält. Aber das ist ein anderes Problem.
1961 war die Welt noch eine ganz andere. Im Bundestag saßen genau drei Parteien und ihre SPD holte 36 Prozent der Stimmen. Davon ist sie nach allen Umfragen heute weit entfernt und dürfte eine von voraussichtlich sechs Fraktionen werden. Für ihre Partei gibt es deswegen nur zwei Möglichkeiten, in die Regierung zu kommen: weiterhin als Juniorpartner von CDU/CSU unter der Kanzlerin Angela Merkel oder als Anführer eines bunten Haufens von mindestens zwei noch kleineren Parteien. In diesem Fall darf sich Deutschland schon heute auf sehr langwierige und komplizierte Koalitionsverhandlungen einstellen. Jede Festlegung im Vorfeld stört da nur. Braucht die SPD in dieser Lage also wirklich vorab einen Kanzlerkandidaten?
Lassen Sie sich also nicht von irgendwelchen Leitartiklern einreden, dass Sie jetzt unbedingt zugreifen müssten. Weil sonst ihre Position als SPD-Vorsitzender auf dem Spiel stünde. Alles Quatsch. In ihrer Position sind Sie vor allem deshalb umstritten, weil niemand mehr weiß, wofür die SPD eigentlich steht und weshalb man sie wählen sollte. Das ist ihr Problem!
Trotz Verzicht Vizekanzler
Hat es Ihnen geschadet, dass Sie bei der Bundestagswahl 2013 auf die Kandidatur verzichtet haben? Eben. Peer Steinbrück war der glücklose Kandidat - Sie aber sind der Vize-Kanzler und Parteivorsitzende! Lassen Sie doch Martin Schulz nach vorne, wenn der unbedingt will. Soll der doch die Rampensau geben und sich jeden Abend auf einem anderen Marktplatz die Kehle heiser brüllen. Schulz kann das - das hat er im Europawahlkampf bewiesen.
Sie, Herr Gabriel, haben aber eine viel größere Aufgabe: Sie werden im März noch einmal Papa! Und deswegen sage ich Ihnen als Ehemann und Familienvater: Sie sind als Parteivorsitzender und Bundesminister ohnehin selten genug zu Hause. Aber in den kommenden Monaten braucht ihre Frau Sie etwas mehr als sonst. Und auch für ihre kleine Tochter sind Sie besonders wichtig, wenn sie lernen muss, dass es jetzt noch einen anderen kleinen Menschen gibt, der Mamas ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Ausgerechnet in dieser Zeit beruflich noch eine Schippe draufzulegen, um den Kanzlerkandidaten zu geben, der gar nicht gewinnen kann - das würden Sie in einigen Jahren rückblickend bitter bereuen.
Daher mein Appell: Überlassen Sie Schulz den Job! Und sagen Sie nicht, Sie täten das, weil der beliebter sei. Nein, seien Sie ehrlich und bekennen Sie, dass Ihnen ihre Familie jetzt wichtiger ist. Beweisen Sie, dass das ganze Reden von den neuen Vätern und der geteilten Verantwortung zwischen Frauen und Männern ernst gemeint ist und auch vom SPD-Vorsitzenden gelebt wird. Ja - natürlich geht es bei einem, der jetzt schon so eingespannt ist wie Sie, nur um Symbolik. Aber besteht nicht die gesamte Politik vor allem aus Symbolik? Geben Sie der SPD das zurück, was ihr seit Jahren am meisten fehlt: ein Stück Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit ist bei all den Wählern, die noch nicht festgelegt sind, die alles entscheidende Größe. In diesem Sinne: Seien Sie mutig. Sagen Sie Nein!
Herzlichen Gruß
Felix Steiner